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"Loyalität" für Kenner

Hand aufs Herz. Halten Sie sich für einen loyalen Menschen?

Selbstverständlich eine Fangfrage. Stellen Sie sich vor. Sie sind Personalchef(in) einer multinationalen Firma und lesen gerade die Bewerbungen der Herren (oder Damen) A und B.

In der Bewerbung von A fallen diverse Zeugnisse ehemaliger Arbeitgeber auf. Inhaltlich sind sie einander sehr ähnlich: „A war stets gutgelaunt, ehrgeizig und verantwortungsvoll. Mit Bedauern haben wir uns von ihm (ihr) getrennt.“

In B’s Bewerbung liegt lediglich ein einziges Zeugnis vor. Darin erfährt man: „B hat stets mit großer Hingabe gearbeit und bestach mit seiner (ihrer) Loyalität. Leider müssen wir uns nach sovielen Jahren von ihm (ihr) wegen der Insolvenz unserer Firma trennen. Wir wünschen ihm (ihr) viel Glück auf seinem (ihrem) weiteren Weg.“

Jetzt müssen Sie entscheiden. Wer soll es sein: A, der (die) Ehrgeizige, oder B, der (die) Loyale? Na?

Natürlich haben Sie sich für A entschieden. „Loyal“ in der Geheimsprache der Zeugnisse löst bei Personalchefs stets Alarmsignale aus. Denn diese Vokabel bedeutet im Zeitalter des späten Turbokapitalismus schlicht und einfach „doof“, „einfallslos“, „träge“, „ängstlich“ usw.

Das war freilich nicht immer der Fall. Früher suchte man gierig nach Menschen wie B, die vorhatten, bei der Firma bis zum Ruhestand zu bleiben. Im Lauf dieser dreißig oder vierzig Jahre könnte sich ein Mitarbeiter, wenn er fleißig und begabt war (oder Glück hatte), hocharbeiten und manchmal sogar die Chefetage erreichen (was natürlich einem Lotteriegewinn gleichkam).

Das war keinesfalls ein deutscher Sonderweg. So war es früher überall – auch in den USA. Noch heute orientieren sich viele japanische Firmen an diesem Prinzip.

Erst im Lauf der 70er Jahre trat ein Sinneswandel, ein frischer Wind, ein, und zwar zunächst in den USA – nicht übrigens von ungefähr zur selben Zeit, als die Saat der heutigen Weltwirtschaftskrise in die Erde gebracht wurde. Das zarte Pflänzchen der neuen Wirtschaft wuchs schnell und kräftig heran. Schon Ende der 80er Jahre war in den USA das geflügelte Wort „leaner and meaner business“ – magereres und gemeineres Geschäftemachen – in aller Munde. Ein besonderer Held dieser Zeit war Al „Chainsaw“ („Kettensäge“) Dunlap, damals Vorstandsvorsitztender der „Scott Paper Company“. Er setzte tausende Mitarbeiter knallhart auf die Straße. Man nannte diesen radikalen Stellenabbau „downsizing“ – etwa „Verkopfkleinerung“. Die Loyalen wurden ob ihrer antiquierten Denkart verlacht.

Doch nehmen wir dieses Wort „loyal“ kurz unter die Lupe. Es stammt aus dem Französischen und wird letztendlich aus dem lateinischen „legalis“, also „gesetzlich“ abgeleitet. Wer „loyal“ ist, agiert also innerhalb der Gesetze. Der „Unloyale“ ist folglich ein Gesetzloser. „Treu“ ist das deutsche Äquivalent für dieses Fremdwort - es ist mit „trauen“ und „vertrauen“ verwandt. Der Wortstamm bedeutete ursprünglich „stark“ und „tapfer“. Das englische „tree“, also „Baum“, ist mit dieser Wurzel verschwägert. „Baumstark“ sagt man noch heute im Deutschen.

Nicht von ungefähr haben Firmen früher „treue“, also „loyale“ Menschen als Mitarbeiter bevorzugt. Denn wer möchte einen „Untreuen“, einen „Gesetzlosen“ als Mitschaffenden im eigenen Haus haben? – genau die Charaktereigenschaften, die die Weltwirtschaft ins Schleudern gebracht haben.

Nun meine Frage an jene Vorstandsvorsitzenden, die sich versehentlich auf diese Seite verirrt haben. Es handelt sich natürlich um eine Fangfrage: Nach allem was Sie mittlerweile über die Kehrseite des Wirtschaftswachstums wissen, würden Sie jetzt lieber A oder B einstellen? Keine Hast. Die Antwort auf diese Frage ist alles anders als einfach.

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