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Das Gesetz der Mundfaulheit

Machen Sie folgendes Experiment: Legen Sie eine Marlene-Dietrich-Platte auf den Plattenspieler auf und hören Sie „Ich bin die fesche Lola“ an.

Falls Ihnen obiger Satz nicht Chinesisch klingt, dann sind Sie wahrscheinlich so vergreist wie ich.

Für alle andere Surfer und Surferinnen empfehle ich für dieses Experiment, dass Sie „Die fesche Lola“ als MP3 downloaden.

Wozu diese Aufforderung? Ich möchte, dass Sie sich den Tonfall Marlenes von vor 75 Jahren anhören. Sie werden gleich merken: Heute klingt er veraltert. Auch jungen Neonazis empfehle ich dieses Experiment, wenn sie Hitler- und Goebbelsreden lauschen. Es sind lediglich vermoderte Stimmen aus dem Grab. Wer im Fernsehen redet wie AH JG und HG, der hätte heute höchstens als Synchro-Stimme für „South Park“ Erfolgschancen.

Was will ich damit sagen? Nicht nur der Wortschatz einer Sprache ist stets am Wandeln (ein Thema, das ich zu einem anderen Zeitpunkt aufgreifen werde) sondern auch der Klang.

Neulich las ich einen Artikel in der amerikanischen Presse über die „Queen’s English“, jenen vornehmen Akzent aus dem Haus Windsor. Sprachwissenschaftler haben in jüngster Zeit die Reden Elisabeths aus den letzten 50 Jahren unter die Lupe genommen. Man stellt fest, dass die heutige Sprache der Königin, verglichen mit der ihrer Anfangsherrschaftsjahre, völlig anders klingt. Der Tonfall, den man früher als „king’s – bzw. queen’s – English“ bezeichnete, sei beinahe verschwunden. Heute sprechen die „Royals“ die gleiche gebildete Sprache aller mittelständischer Menschen Südenglands.

Gleicher Wandel gilt übrigens für das Englisch (bzw. Amerikanisch), das ich spreche. In meiner Jugend pflegte ich mit sehr ausgeprägtem New Yorker Akzent zu reden – einem Akzent, den man heute immer seltener unter Jugendlichen meiner Heimatstadt hört, denn er ist zunehmend im Sterben begriffen. Doch dieser Tonfall, der mich einst als „native nu joka“ auszeichnete, ist heute kaum mehr zu erkennen, wenn ich Englisch rede. Meine Sprache hat inzwischen viele Elemente des langweiligen Mittelamerikanischen übernommen – vielleicht, weil ich zu sehr herumgekommen bin. Hinzu kommt bei mir der Einfluss des Deutschen zur Geltung, was mein Tonfall auch geringfügig fremdartig anklingen lässt.

Der Wandel des Tonfalls ist nur eins von vielen Elementen, der verständlich macht, wieso die Sprache Luthers, Goethes, Kleists usw. nicht der heutigen Sprache entspricht. Ebenfalls erklärt er – zumindest teilweise – , die großen Sprachevolutionen der Weltgeschichte, etwa die Verwandlung des Lateins in die romansichen Sprachen.

Warum ist der Tonfall einer Sprache ständig in Wandel? Der Sprachwissenschaftler Professor Adolf Denz, mein ehemaliger Lehrer an der LMU-München, redete gerne vom „Gesetz der Mundfaulheit“, das uns immer dazu animiert, Wörter so knapp wie möglich zu artikulieren. Das ist wohl nicht die ganze Antwort auf diese Frage, aba Swissnscho, wiechs meine, ni wah?
Kämen wir in 200 Jahren nach Deutschland zurück, wären wir alle so fremd geworden wie die fesche Lola.

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