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Vom "Gast" und anderen Fremden

Seien Sie froh, dass Sie deutschsprachig sind und nicht Tag und Nacht Französisch parlieren müssen, vor allem, wenn Sie ein Fest schmeißen wollten.

Ich sage dies nicht grundlos. Das Französische unterscheidet nämlich nicht zwischen dem "Gast“ und dem "Gastgeber“. Es ist jeweils das gleiche Wort, "hôte“ (sprich "ot“) – zumindest wenn es um Männer geht. Die "Gastgeberin“ bezeichnet man als "hôtesse“.

Theoretisch könnte also jeder auf einer französischen Party, solange es sich um Männer handelt, mit recht behaupten "je suis (ich bin) l’hôte“. Diese Doppeldeutigkeit stört wohl auch das französische Sprachgefühl. Nicht von ungefähr weichen die Franzosen auf andere Wörter für "Gast“ ("invité“, "convive“) aus. "Hôte“ in der Bedeutung von "Gastgeber“ steht übrigens Pate für das Englische "host“. Der "Gast“ hingegen wird anhand der altgediegenen angelsächsischen Vokabel "guest“ wiedergegeben.

Die Doppeldeutigkeit dieser Wörter ist keine neuzeitliche Erfindung. "Hôte“ wird vom lateinischen "hospes“ abgeleitet, einem Wort, das seinerzeit ebenfalls die doppelte Bedeutung von "Gast“ und "Gastgeber“ hatte.

Was "Hospes“ betrifft: Es ist eigentlich ein zusammengesetzter Begriff und lautete einst im Altlateinischen oder in einer unbekannten vorlateinischen Sprache so etwas wie "hostis-potis“. Teil eins, "hostis“, ist das übliche lateinische Wort für "Fremder“ oder "Feind“; Teil zwei, "potis“, bedeutet in diversen indogermanischen Sprachen "Herr“ oder "mächtiger Mensch“. Das "pot“ in "Despot“ ist mit diesem Wort verwandt, ebenfalls das "pot“ in Potenz. Der "Hospes“ war also ursprünglich so etwas wie ein "Herr über Fremde“, was man leicht als Gastgeber verstehen könnte, "Gastgeber“ doch ebenfalls als "Sklavenhalter“. Übrigens: Das alte Wort "hostipotis“ (in dieser Form hat es im Lateinischen nie existiert) wird bis heute im Russischen "gaspodin“ gebraucht und bedeutet "Herr“.

Nicht zu vergessen: Die Vokabeln "hostis“ und "Gast“ sind auch nahe Verwandte. Das anlautende "H“ im Lateinischen gleicht oft dem germanischen "G“. Beispiel: Latein "helvus“ ("honigfarbig“), Deutsch "gelb“; Latein "hortus“, deutsch "Garten“. Klar, dass es so ist. Es handelt sich in beiden Fällen um zwei engverwandte indogermanische Sprachen. Im Althochdeutschen hatte das Wort "Gast“, wie Latein "hostis“, noch immer die Bedeutung von "Fremder“.

Der Umgang mit dem Fremden spielte in der Geschichte der Menschheit schon immer eine große Rolle. Es soll nicht überraschen, dass sich die heikle Begegnung gegenseitig unbekannter Menschen auf sprachlicher Ebene wiederspiegelte und leicht zu einem Begriffswirrwarr führte. "Fremder“, "Feind“, "Gast“ und "Gastgeber“: Das ist irgendwie alles letztendlich der gleiche Mensch aus verschiedenen Perspektiven.

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