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Knut und die Rabulistik

Ich habe mich verliebt. Nein, hier folgt kein schlüpfriges Bekenntnis aus den Geheimakten meiner Privatsphäre. Ich bin schon viele Jahre glücklich verheiratet, danke schön. Ich meine lediglich, dass ich mich in ein Wort verliebt habe. Jedesmal, wenn ich es über die Lippen bringe (ja, auch das Sprechen hat seine sinnliche Seite), schlägt mein Herz höher. Das Wort, das mich so beflügelt: "Rabulistik“.

Wörter sind wie Menschen. Sie können auffallen, einem als schön – bzw. häßlich – vorkommen, einem auch völlig gleichgültig sein. Manche Wörter glaubt man sogar intim zu kennen, um dann plötzlich mit Entsetzen festzustellen, dass man sie doch gar nicht gekannt hat. So ist es mir, zum Beispiel, mit dem Wort "Bärendienst“ ergangen. Ich glaubte, jahrelang es zu kennen, habe es wiederholt in Sätzen gebraucht und mich geradezu eloquent auszudrücken gemeint, wenn ich es benutzte. Etwa: "Mit der Steuersenkung hat das Parlament dem Volk einen Bärendienst erwiesen.“ Oder: "Danke, Kinder, dass ihr gestaubsaugt habt, ihr habt mir einen Bärendienst erwiesen.“ Dann erfuhr ich eines Tages – ganz zufällig, wie so oft im Leben – dass ein "Bärendienst“ eigentlich einen „schlechten Dienst“ bezeichnet. Wie ich mich geschämt habe. Wissen Sie übrigens, woher diese Redewendung stammt? Sie geht auf eine alte Fabel zurück von einem jungen Einsiedler, der einen gezähmten Bären hatte. Während der Einsiedler einmal fest schlief, wurde er von Mücken geplagt. Der kluge Bär wollte seinem Herrchen einen "Dienst“ sozusagen erweisen. Um die Plagegeister zu vertreiben, bewarf er sie mit Steinen. Dabei konnte er die Mücken zwar erfolgreich verjagen, zugleich erschlug er den Einsiedler. Wie heißt es so schön? Operation gelungen, Patient tot!

Da ich gerade von Bären spreche: Kennen Sie die Redewendung "jemandem einen Bär aufbinden“? Dieses "Bär“ hat – so jedenfalls meint Herr Röhrich in seinem ausgezeichneten "Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ – wohl nichts mit Knut und Co. zu tun. Mit großer Wahrscheinlichkeit handele es sich hier um eine altdeutsche Vokabel, die die Bedeutung "Last“, "Bürde“ hat – wie im Englischen "to bear“ ("tragen“, "ertragen“).

Aber zurück zu meinem momentanen Liebling, "Rabulistik“. Das Wort war mir zwar seit langem bekannt, ich war aber einfach zu faul, seinem Sinn nachzuforschen. Ich weiß, ich lehne mich weit aus dem Fenster, wenn ich meine Ignoranz und meine Indolenz so unverhohlen eingestehe, aber sei’s drum. Was ist das Leben ohne Risiko? Übrigens: Wenn Sie selbst die Bedeutung von "Rabulistik“ schon kennen, habe ich Verständnis dafür, sollten Sie nicht weiter lesen wollen. Für alle andere, die so faul und unwissend sind wie ich, nun der Höhepunkt: "Rabulistik“ bedeutet "Spitzfindigkeit“, "Wortklauberei“. Ein "Rabulist“ ist einer, der kleinlich und rechthaberich argumentiert. Der "Rabula“ war auf Lateinisch der "Winkeladvokat“, der "Rechtsverdreher“, der "Haarspalter“. Alle diese Wörter gehen übrigens auf das lateinische "rabere“ ("toben“) zurück. "Rabiat“ ist auch damit verwandt. Jetzt wissen Sie alles.

Ein schönes Wort, nicht wahr? Meines Erachtens zum Verlieben schön sogar – ebenso wie der wuschelige "Knut“, der es übrigens geschafft hat – zumindest vorläufig – , sich zu einem waschechten Begriff im deutschen Wortschatz zu mausern. Jeder, der den Namen "Knut“ hört, weiß sogleich von welchem "Knut“ die Rede ist. Die internationale Presse liebt die Geschichte des putzigen Eisbären so sehr, dass sein Name nach kurzester Zeit mindestens so bekannt geworden ist wie einst der von Paris Hilton. Er ist nach nur wenigen Wochen zum Begriff in der neuen "Globischen“ Sprache geworden. Ich meine dies, versteht sich, ohne jegliche Rabulistik.

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