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Über eine echte Fälschung

Heute möchte ich eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert erzählen. Ich habe sie gerade eben erfahren und bin deshalb noch ziemlich durch den Wind.

In meiner Jugend, als wir noch keine Computer, keine Jugend gefährdenden Videospiele, keine "Alkipops“ hatten, habe ich mich in meinen freien Stunden meistens mit der Geschichte der lateinischen Sprache amüsiert. Texte aus der Frühzeit dieser Sprache waren mir ein wahrer Nervenkitzel. OK, ich bin ein bisschen komisch. Dank "The Latin Language“ von L.R. Palmer, einem bekannten Werk über die Geschichte der lateinischen Sprache, wusste ich, zum Beispiel, dass die allerfrüheste lateinische Inschrift auf eine goldenen Fibel, der sogenannten "Palestrina-Fibel“ aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert, gekritzelt wurde. Eine "Fibel“ ist übrigens eine Art Spange oder Nadel. Man hat sie, als es noch keine Knöpfe gab, benutzt, um Kleidungsstücke zusammenzuhalten.

Besagte Inschrift lautete: "manios med fhefhaked numasioi“ und bedeutet "Manius hat mich für Numerius gemacht“. Ich war von diesem Satz stets hingerissen: So redeten die Römer in den Tagen, als Babylon noch eine Weltmacht und Rom nur ein Dorf war. (Im klassischen Latein klingt der Satz folgendermaßen: "Manius me fecit Numerio“). Interessant für Latinisten war die Tatsache, dass das "F“ im Verb "fecit“ ("machte“) redupliziert wird: "fhefhaked“. Noch dazu schwärmten die Profis für die ungewöhnliche Dativendung "oi“ in "numasioi“. Mehrere Gelehrte haben über diesen Text lange, leidenschaftliche Aufsätze geschrieben.

Noch etwas weiß man über diesen Text: Er taucht zum ersten Mal ca. 1885 in einem wissenschaftlichen Blatt, den "Mittheilungen des deutschen archäol. Inst. Rom.“, als kurze Notiz vom Entdecker der Fibel, dem deutschen Archäologen Wolfgang Helbig, auf.

Aber nun habe ich Folgendes erfahren: Bereits in den 70er Jahren hat die italienische Professorin Margherita Guarducci offenbart, dass die kostbare Palestrina-Fibel wohl keine Antiquität sei, sondern eine geschickte Fälschung. Dies stellte sie anhand der Patina auf den Buchstaben fest, die eindeutig aus dem 19. Jahrhundert stammte und nicht aus der Urzeit. Fazit: Wenn die Fibel gefälscht ist, liegt es natürlich auf der Hand, dass auch der Text nicht echt sein kann.

Guarducci tippt übrigens auf Wolfgang Helbig (1839-1915) selbst als Täter in diesem Krimi. Mittlerweile ist es bekannt, dass Helbig nicht nur Archäologe war, sondern Sozius eines damals bekannten italienischen Kunsthändlers und Fälschers namens Francesco Marinetti. Ein Handschriftenexperte hat inzwischen auf Ähnlichkeiten zwischen den Buchstaben des "uralten“ lateinischen Textes auf der Fibel und Helbigs eigener Handschrift hingewiesen.

Über dieses Thema ist übrigens nur wenig im Internet zu entdecken – außer auf einigen wenigen italienischen Seiten. Unter dem Stichwort "Wolfgang Helbig“ findet man bei Wikipedia usw. lediglich heraus, dass er ein großer Archäologe war. Meine Quelle für diese Geschichte ist ein Buch über Fälscher, "False Impressions“, vom ehemaligen Direktor des Metropolitan Museum of Art in New York, Thomas Hoving.

Übrigens: Hoving behauptet, dass sich Helbig mit diesem Text wohl nur ein Witzchen erlauben wollte. Der schöpferische Archäologe verfügte offenbar über sehr gute Englischkenntnisse. Möglicherweise habe er uns eine Geheimbotschaft in seiner "antiken“ Inschrift hinterlassen – so glaubt jedenfalls Hoving. Das Wort "fhaked“ erinnert nämlich sehr stark ans englische "faked“, d.h. "gefälscht“.

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