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Qual der Wahl

Heute wieder Englischunterricht beim Sprachbloggeur. Das Thema: Wahlkampfwortschatz. Denn dieses Jahr wird in den USA ein(e) neue(r) Präsident(in) gewählt.

Das Wählen in Deutschland scheint – zumindest mir –recht unproblematisch zu sein. Das sage ich, weil ich als Scheinausländer nicht stimmberechtigt bin: Es gibt zwei Listen, man macht ein paar Kreuze auf einem Stimmzettel und zack! Die Chose ist fertig. Auch der Wortschatz, der zu diesem einfachen Verfahren passt, kommt mir gradlinig vor: "Wahlkampf“, "wählen“, "kandidieren“, "Stimmzettel“, "Wahlurne“, "Urnengang“. Habe ich etwas vergessen? Ach ja – die "Kandidatinnen“ und "Kandidaten“. "Kandidat“ stammt übrigens von der "toga candida“. Das war eine mit Kreide geweißelte Toga, die Amtsanwerber in Rom trugen. Weiß symbolisierte natürlich die reine Seele des Bewerbers. "Wählen“ ist übrigens mit "wollen“ verwandt. Eigentlich logisch: Man drückt beim Wählen ein "Wollen“ aus.

Ganz anders ist die Sache in den USA. Das Komplizierteste zuerst: Bei uns "kandidiert“ man nicht, man "campaigns“, ein Wort, das eigentlich aus dem Kriegswortschatz stammt. Oder man "runs for office“ – wörtlich: "nach dem Amt laufen“. Immerhin sagt man auf Deutsch in Bezug auf einen Wettbewerb, dass jemand "noch im Rennen“ sei.

Um Präsident(in) der Vereinigten Staaten zu werden, muss man zuerst von der eigenen politischen Partei ausgewählt werden. Früher passierte dies in verrauchten Hinterräumen und nach dem Verzehr von einigen Stamperln Whiskey. Heute veranstaltet man eine "Vorwahl“, "primary“ genannt. Das Volk (und nicht die Bosse) wählt seinen Kandidaten demokratisch aus. Da ein Anwärter in allen 50 Bundesstaaten "nach dem Amt läuft“, um als Kandidat ausgewählt zu werden, redet man von den "Primaries" in der Mehrzahl . Für einen Kandidaten ist dieses Laufen nach dem höchsten Amt freilich äußerst anstrengend. Denn er (oder sie) muss in 50 Bundesstaaten Präsenz zeigen. Mitunter muss er "auf den Baumstumpf gehen“ und mehrere überzeugende "Baumstumpfreden“ halten. Auf Englisch heißt das "to go on the stump“ und "to hold a stump speech“. Man kann sich vorstellen, dass die Politiker der vorindustriellen Vergangenheit buchstäblich auf Baumstümpfen standen, um von der Menge besser erkannt zu werden.

Im Bundesstaat Iowa heißt die Vorwahl nicht „primary“, sondern "caucus“. Ein "caucus“ ist wörtlich ein "Volksgespräch“. Dieses "Gespräch wird im ganzen Bundesstaat geführt, bis man sich für eine(n) Kandidat/in/en entscheidet. (Ähnlich war das Wahlverfahren beim altgermanischen "Thing“ übrigens). Sprachforscher streiten sich seit Jahren, woher dieses Wort "caucus“ kommen könnte. Es gab bereits im Jahr 1760 in Boston einen "Caucus Club“. Im mittelalterlichen Latein bedeutete "Caucus“ "Kelch“. Vielleicht hat man damals in Boston Kaffee oder Whiskey getrunken, während man über die Vor- und Nachteile eines Kandidaten diskutierte. Manche Linguisten tippen auf ein Wort "caucauasu“ als Quelle. "Caucausasu“ bedeutete im Algonkindialekt, der einst im Bundesstaat-Virginia gesprochen wurde, "Berater".

Und noch etwas: In den USA hat ein(e) Kandidat(in) bessere Chancen, wenn er/sie ein "populist“ ist. "Populismus“ in der amerikanischen Sprache gilt nämlich als Tugend. Im Deutschen wird der "Populismus“ mit Demagogie gleichgesetzt.

Am Schluss geht man zum "Haarschopf“, um "seine Stimme zu werfen“ und sein "Bällchen“ in den "Bällchenkasten“ zu schieben. Wieder habe ich die Begriffe zunächst wörtlich ins Deutsche übertragen. "One goes to the polls to cast his vote and put his ballot in the ballot box“. Die “polls” – das sind die Wahlokale. Das Wort wird aus dem Holländischen abgeleitet und bedeutet buchstäblich “Kopfhaare”, Dereinst haben Menschen wohl Kopfhaare gezählt, um einen Wahlsieger zu bestimmen. Die "Ballotbox“ ist der Wahlurne ähnlich. Früher hat man wohl etwas Kugelförmiges in einen Behälter geworfen anstatt eines Stimmzettels. Deshalb wird im Englischen die Stimme ("vote“) noch immer "cast“ ("geworfen“).

Genug für den Anfang. Mit obigem Wortschatz sind Sie in die Geheimnisse des amerikanischen Wahlsystems schon tief eingedrungen. Nicht zu vergessen: Am 5. Februar findet "Super Tuesday“, der Superdienstag, statt. An diesem Tag wird in 20 Bundesstaaten zeitgleich gewählt. Wer als Sieger(in) unter den Demokraten hervortritt, wird höchstwahrscheinlich im November gegen den Sieger unter den Republikanern antreten.

P.S. In der gestrigen Münchener "Abendzeitung“ wird Hillary Clinton "Heulary“ genannt. Eine clevere Wortschöpfung, die sich auf einen "Gefühlsausbruch“ der Kandidatin bezieht, der – so sagen die Experten in den USA – die Wahl in New Hampshire zu ihrer Gunst gewendet hat. Wetten, dass dieses neue Wort alsbald in Vergessenheit gerät?

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