Ich – wie sicherlich auch viele andere Sprachbegeisterte – habe den Wettbewerb für das sog. „Unwort des Jahres“ nicht gerade entgegengefiebert. Man nimmt die Sache zur Kenntnis und kehrt dann ins Alltägliche zurück.
Hand aufs Herz: Wissen Sie noch, wie das Unwort des Jahres 2023 lautete? Ich leider auch nicht. Im Zeitalter des Googelns ist man zwar ein Fingerschnappen entfernt, um dies herauszubekommen; ich mache mir aber die Mühe nicht.
Übrigens: Wozu die Wahl eines Unwortes des Jahres? Klar! Ein Geschenk an die Medien!! Was sonst? Man hat etwas, worüber man schreiben kann, was besonders vorteilhaft ist in Zeiten der Infodörre, wenn im Weltgeschehen oder in der Politik nicht viel los ist, was gegenwärtig allerdings nicht der Fall ist.
Jugendwort, Unwort oder Wort des Jahres. Immer hat man ein dankbares Publikum im Mediengeschäft.
Ich weiß, was Sie denken. He, Herr Sprachbloggeur, dasselbe machen auch Sie! Oder?
Naja. Es stimmt und es stimmt nicht. Immerhin habe ich vor etlichen Monaten eine Glosse über das künftige Wort des Jahres und eine über das künftige Unwort des Jahres – genauer gesagt: über meinen Vorschlag diesbezüglich – veröffentlicht.
Falls es Ihnen nicht mehr geläufig ist, habe ich als „hässlichstes Wort der deutschen Sprache“ (naja, nicht so ganz „Unwort des Jahres“ aber beinahe) „Studierendenschaft“ auserkoren. Dieser Meinung bin ich noch immer. Mir wird’s mulmig zumute, wenn ich überhaupt einer Vokabel begegne, die mit „Studierend…“ beginnt.
Aber zurück zum diesjährigen Unwort des Jahres. Huch! Beinahe wollte ich „Umwelt des Jahres“ schreiben! Vielleicht bin ich meiner Zeit voraus. Vielleicht wird es eines Tages so etwas wie eine „Umwelt des Jahres“ – geben? Weiß man nie.
Doch warum soll „biodeutsch“ ein Unwort sein? Ich persönlich kenne es erst seit ein paar Jahren. Wikipedia erzählt mir, dass es diese Vokabel schon seit den 1990er Jahren gibt. Wo war denn ich die ganze Zeit? Verträumt wie üblich wohl. Ich sollte hier hinzufügen, dass ich auch noch nie eine Folge von „Tatort“ oder „Traumschiff“ geglotzt habe.
„Biodeutsch“ habe ich übrigens erst von meiner Frau erfahren. Irgendein Gespräch wohl im Büro war der Anlass. Um ehrlich zu sein: Ich fand den Begriff lustig.
Gestern im Radio erzählte ein Journalist – er war entweder von der FAZ oder von der Frankfurter Rundschau, habe ich vergessen – dass er zwar gegen jeglichen Rassismus sei (welcher vernünftiger Mensch wäre das nicht?), aber dass er „biodeutsch“ nicht als diskriminierend empfinde, sondern vielmehr als deskriptiv. Vielleicht hat er auch gefragt, wie man sonst knapp zum Ausdruck bringen sollte, dass einer eine lange Tradition im Lande hat? Eine faire Frage.
In den USA gibt es einen Verein mit dem Namen DAR, d.h.: „Daughters of the American Revolution“. Mitglied darf nur ein weibliches Nachkommen derer, die in Amerika lebten, als der Befreiungskrieg gegen England wütete. Darüber hinaus spricht man von den „Mayflower families“. Das sind diejenigen – boys and girls –, die ihre Familiengeschichte bis zur Zeit des „Mayflower“, des Segelschiffs, das 1620 in Neuengland vor Anker ging, zurückzuverfolgen vermögen… wie zum Beispiel die Familie meiner Jugendfreundin.
Der Autor der Frankfurter Zeitung, der den Begriff „biodeutsch“ zumindest einigermaßen gutheißen wollte, stellte auch fest, dass keiner sich aufregt, wenn zwischen „Biobutter“ und sonstiger Butter unterschieden wird. Ob das ein brauchbares Argument ist, vermag ich nicht zu sagen. Dennoch habe ich, ehrlich gesagt, nichts dagegen, liebe Biodeutsche, wenn Sie sich Bio nennen.
Ich bleibe ohnehin bis Ende meiner Tage lediglich ein gut assimilierter Ausländer – und bin sogar stolz darauf!
Add new comment