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Das pantographische Messer…

„Darf ich das…ist es ein Messer?...im Schaufenster sehen?“

So begann das kleine Abenteuer.

Ich stand im Antiquitätenladen und bat die nette Dame, mir das…Ding…in der Auslage, aus der Nähe zu zeigen. Es waren zwei, flache, parallel nebeneinander Messingstücke, die auf mich irgendwie wie der Griff eines Messers wirkten. Daher sagte ich „Messer“.

Ist das wirklich ein Messer?, dachte ich. Meine Vermutung: Diese Zwillingsmessingstücke werden auf raffinierte Weise auseinandergezogen, um dann eine Messerklinge hervorschauen zu lassen.

Ja, wie die meisten Jungs habe auch ich ein Faible für Messer. Ich weiß nicht, wieso es so ist. Wäre interessant zu erfahren, ob auch transsexuelle Knaben – womit ich Mädchen, die zu Jungs werden – ebenso dieses Faible teilen. Soweit ich weiß, hat bisher kein Wissenschaftler über dieses Thema referiert.

Die nette Dame reagierte schnell. „Ja, das ist ein Messer.“ Sie holte es aus der Auslage und drückte es mir in die Hand. Bald hatte ich den Dreh raus, wie man das Ding aufmacht. Man zieht die zwei flachliegenden Messingstücke auseinander – man sieht dann Verbindungsstücke mit Scharnieren, die dann von der Form her an ein Freimauerquadrat erinnern. Und nun siehe da! Eine Klinge ragt hervor! Und die zwei Messingstücke werden in einen Messinggriff verwandelt.

„Hübsch, sagte ich. Ist es alt? Und woher kommt es?“ Zwei Fragen, die man in einem Antiquitätenladen meistens stellt.

„Ja sicher“, antwortete sie. „Es dürfte vom Anfang des 20. Jh. stammen und wohl aus Europa, vielleicht Deutschland.“

Und jetzt fiel mir „Google Lens“ ein. Schließlich leben wir in den 20er Jahren des 21. Jh. Aus Neugier lichtete ich das hübsche Messerlein mit dieser App ab. Doch leider war Google hier wenig hilfreich. Bald vereinbarten wir einen – beidseitigen – akzeptablen Preis von 25 Euro und weg war ich.

Zuhause angekommen, probierte ich es wieder mit Google Lens. Diesmal mit Erfolg. Es handelte sich nämlich um ein sog. „pantographisches Messer“.

„Pantographisch“ nennt man ein Zeichengerät, das zweimal das Gleiche parallel zeichnet. Wohl hat das Messer eine ähnliche Form.

Auch „Fallschirmspringermesser“ heiße das Ding, da es im Zweiten Weltkrieg von dt. Fallschirmspringern verwendet wurde, um im Notfall die Stricke eines Fallschirms durchzuschneiden.

Obendrein stieß ich auf die Webseite eines Auktionshauses, wo ein Messer, genau wie das meine, abgebildet war. Der Beschreibung nach wurde es ca. 1900 in England hergestellt, was sich mit der Aussage der Dame im Laden übereinstimmte. Da die Versteigerung schon beendet war, war aber nicht zu eruieren, wieviel Geld der Käufer bezahlt hat.

Doch ich suchte auch weiter. Nun stieß ich auf Exemplare, die mit „SS-Runen“ und der Inschrift „Bereit zu Dienst“ versehen waren. Offensichtlich, so hab ich gelesen, war dieses Messer Teil der Ausrüstung jener dumpfen Hitlerschergen.

Immer weiter forschte ich. Auch eine Wikipedia-Seite entdeckte ich unter Stichwort „Pantographic Knife“. Leider waren die Informationen etwas wischiwaschi. Immerhin habe ich eine Skizze gesehen, die aussah, wie ein Entwurf für ein Patent. Aber dann – durch Zufall – kam ich auf die Seite eines Messerforums. Dort erfuhr ich Folgendes:

Das Messer war die Erfindung eines gewissen Ernst Mandewirth, der es 1938 unter dem Namen „Kastenmesser“ hat patentieren lassen. Die ersten „Kastenmesser“ wurden aus Stahl – ohne Messing – hergestellt. Wozu sie dienen sollten, weiß offensichtlich keiner. Allerdings: Nach dem Krieg kam ein mir unbekannter Geschäftstüchtiger auf die Idee, diese Messer als „SS-Messer“ und obendrein als „Fallschirmspringermesser“ zu bezeichnen, um sie massenweise zu verkaufen. Das mit dem Fallschirm war eigentlich absurd. Bis man die Stricke eines verfangenen Fallschirms durchgeschnitten hätte, wäre man längst tot. Denn schnell geht es nicht, dieses Messer aufzuklappen. Und dann endlich der Clue: Ca. 1970 wurden diese pantographischen Messer in Pakistan oder in Indien nachgemacht und zwar mit Messinggriff. Reine Handarbeit versteht sich.

Nun wusste ich endlich, dass mein Messer aus Pakistan oder Indien stammte.
Und nun wissen auch Sie die Geschichte des pantographischen Messers. Nur die Dame im Antiquitätenladen weiß immer noch nichts davon. Vielleicht sag ich es ihr im neuen Jahr.

Moral der Geschichte: Nicht alles glauben, was die Leute sagen oder schreiben.

Ach ja! Fürs neue Jahr wünsche ich Ihnen Gesundheit und Zufriedenheit!

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