Als ich gestern im Wohnzimmer mit einem breit gefächerten Exemplar der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 31. Januar 1933 demonstrativ rasselte, fragte mein Sohn endlich, "Wo hast du die alte Zeitung her?“.
Ich spielte zunächst dumm und antwortete, "Alte Zeitung, was für alte Zeitung? Ich lese die Zeitung halt wie jeden Tag. Ich habe sie im Zeitungsgeschäft gekauft.“
Ich merkte schnell, dass dieses Spielchen keinen Eindruck auf meinen Sohn machte. Er hat nicht einmal die große Überschrift auf Seite eins kommentiert: "Die erste Sitzung des Kabinetts Hitler“. Vielmehr sagte er: "Ach, du hast dir diese Alte-Zeitung-Serie gekauft.“
"Woher weißt du davon?“
"Das hat man in der Fernsehwerbung gesehen.“
Wie immer bin ich der letzte, der über Neuigkeiten erfährt. Meine Söhne wissen immer schneller Bescheid als ich. Ich hingegen bin gestern nur ganz zufällig auf diese neue Publikation "Zeitungszeugen“ gestoßen. Jede Woche erscheint eine Mappe mit Faksimiles historisch signifikanter deutscher Zeitungen aus der NS-Zeit. Diese Woche, z.B., lagen in der Mappe Exemplaren der nationalkonservativen "Deutsche Allgemeine Zeitung“, der kommunistischen "Der Kämpfer“ und des Naziblatts "Der Angriff“ – allesamt Nummern vom 30. oder 31. Januar 1933, dem Tag also der Machtübernahme Hitlers. Wohlgemerkt: In diesen Zeitungen stehen nicht nur Nachrichten über Nazis. Man kann sich ebenso über Kultur-, Sport- und Wirtschaftsereignisse informieren – wie in jedem Tageblatt. Auch das Rundfunkprogramm findet man vor und natürlich die Reklamen. Deutsche Geschichte wird richtig dreidimensional präsentiert. Im übrigen kann sich der Leser in mehreren Seiten Kommentar, von namhaften Historikern geschrieben, vertiefen . "Zeitungszeugen“ ist meines Erachtens ein anspruchsvolles Unterfangen.
Ich erzähle davon aber nicht, weil ich Teilhaber am Projekt wäre, sondern weil ich in den Begleitkommentaren einen kurzen Text der Historikerin Irene M. Leitner über die "deutsche Fraktur“– die Schriftart, in der alle oben genannte Zeitungen damals gedruckt wurden – entdeckt habe. Frau Leitner erklärt in einer aufschlussreichen Glosse, dass die Fraktur – „Schwabacher Schrift“ genannt – seit der Anfangszeit des Buchdrucks in Deutschland im Gebrauch sei, wobei sie allerdings seit jeher mit der "Antiqua“-Schrift in Konkurrenz gestanden habe. (Der Text, den Sie gerade lesen, wird "Antiqua“, sprich "Lateinschrift“, geschrieben).
Im 19. Jahrhundert wetteiferten die beiden Schriftarten besonders heftig miteinander. Der Streit verschärfte sich erst recht, so Frau Leitner, 1908-1911 im Reichsrat. Als die Nazis an die Macht kamen, schien die Sache endgültig zugunsten der Fraktur entschieden zu sein. Reichsinnenminister Frick habe sie als "einen Ausdruck deutscher Identität“ (Zitat Leitner) bezeichnet. 1937 wurde es jüdischen Verlagen untersagt, Bücher in Fraktur drucken zu lassen.
Dann die Überraschung: 1941 kippte Hitler, der nichts für die Fraktur übrig hatte, diesen "Ausdruck deutscher Identität“, der nunmehr als "Schwabacher-Judenlettern“ verhöhnt wurde. Die Nazis bekannten sich hundertprozentig zur "Antiqua“.
Schade, behaupte ich, dass die Fraktur abgeschafft wurde. Ich meine dies nicht etwa, weil ich ein Herz für die Nazis hätte, sondern weil ich, anders als Hitler, die Fraktur immer gerne hatte. Griechisch wird in einer eigenen, traditionsreichen Schrift zu Papier gebracht, auch Russisch, warum nicht Deutsch? Wer kein Deutsch kann, wird einen deutschen Text ohnehin nicht verstehen, ob er in Fraktur oder Antiqua steht. Nebenbei: Ich mag ebenso gerne die deutsche Schreibschrift, das sogenannte "Sütterlin Alphabet“ (nach dem Graphiker Ludwig Sütterlin). Auch sie wurde 1941 durch einen Erlass der Nazis verboten. Immer dieser zwanghafte Drang zur Gleichschaltung!
Komisch, dass sich die "Braunen“ heute ihre Träume in Fraktur gestalten, obwohl ihr "Führer“ diese Schriftart schroff abschaffen ließ. Ich halte es sowieso für falsch, diese uralte Schriftart der deutschen Länder zu politisieren. In meinem Traumdeutschland schreiben alle Deutschsprechenden das Sütterlin Alphabet und lesen Fraktur – auch ohne Arierpass.
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