Als ich um die zwanzig war, habe ich mich mit Vorliebe schwarz angezogen und immer sehnsüchtig darauf wartete, dass eine(r) mich fragte, was für einer ich bin. Dann antwortete ich seelenruhig und zugleich wie aus der Pistole geschossen, "I’m revolting“. Man muss wissen, dass im Englischen "revolting“ zwei Bedeutungen hat: "ekelhaft“, "abstoßend“ und ebenfalls "rebellierend“. Ich fand die Ambiguität irrsinning lustig.
Zugleich habe ich – wie viele junge Menschen damals – einen "Button“ getragen, eine jener runden mit Bild oder mit Worten bedruckten Plaketten, die den Zweck haben, eine gewisse Einstellung oder Meinung zur Schau zu stellen. Meinen habe ich mir selbst zusammengebastelt, und zwar aus einem bereits existierenden Button, den ich mit etwas Abdeckband überzog, um darauf mit Filzstift (damals eine Neuigkeit auf dem Markt) das Wort "EVIL“, also "BÖSE“, zu schreiben. Mit diesem bedrohlichen Abzeichen stolzierte ich schwarz bekleidet und unschuldig durch die Gegend. Was heißt hier "böse“? Im Englischen wird "EVIL“, wenn man es verkehrt herum liest, "LIVE“. Ja, ich war ein typisch unausstehlicher Bursche, der gerne ironisierte – wie Abermillionen andere vor und nach mir.
Ich habe gestern an meinen Hang zu Wortspielen gedacht, als ich über die "Kakodaimonistai“ gelesen habe. Es handelt sich um vier Jugendliche namens Kinesias, Apollophanes, Mystalides und Lysitheos. Sie lebten um das Jahr 400 v.Chr. in Athen. "Kakodaimonistai“ lässt sich ins Deutsche in etwa mit "Bösegeisterklub“ übersetzen. Griechisch "kakos“ bedeutet "böse“, „Daimon“ ist ein "Geist“.
Diese vier Knaben – man weiß leider nicht, wie alt sie damals waren, ich tippe auf siebzehn bis zwanzig – setzten sich stets zusammen an Tagen, die nach dem damals gültigen religiösen Kalender als ungünstig galten, um ihre Feste zu feiern.
Waren das griechische Satanisten, Teufelsanbeter und dergleichen? Ich vermute, nein. Ich glaube sie waren ebenso „böse“ wie ich mit zwanzig Jahren. Ich meine, die "Kakodaimonistai“ waren lediglich "revolting“.
Die Jugendsprache mag gerne schockieren oder verwirren. Und das tut man am besten, wenn man den üblichen Sinn eines Wortes restlos durcheinanderbringt. Auf Englisch sagten wir, zum Beispiel, "bad“, wenn wir etwas Positives ausdrücken wollten. Nebenbei 1): "Bad“ in diesem Sinn haben wir aus dem Dialekt der Afroamerikaner übernommen. Die Schwarzen in Amerika sind immer sehr spielerisch mit der Sprache umgegangen. Auch das allgegenwärtige "cool“ hat so eine Herkunft. In den 1930er Jahren schwärmten alle von der "hot“ Musik. Es war also zu erwarten, dass jemand "cool!“ ausrufen würde, um auf "hot!“ zu deuten. Nebenbei 2): Solche gewagte Umkehrungen finden auch in der Mode statt. Wer seine Baseballmütze mit der Krempe nach hinten trägt, macht mit einer Kopfbedeckung das, was andere mit Worten tun.
Ich kenne dieses Phänomen der Sinnverdrehung im Deutschen allerdings nicht– mit Ausnahme vielleicht von "schrecklich“ (wie „schrecklich interessant“) oder "furchtbar“ und "irrsinnig“. Doch nun hat mich mein Sohn aufgeklärt. Er erzählte, dass mit "krasser Scheiß“ oder "asozial geil“ durchaus Positives gemeint sei. Auch "böse“ sogar "endsböse“ seien als Kompliment zu verstehen und natürlich auch "scheißübel“.
1975, das heißt, als ich die deutsche Sprache zuerst intim kennenlernte, waren mir "böse“ und Co. nie zu Ohr gekommen. Vielleicht verkehrte ich damals in den falschen Kreisen. Dennoch frage ich mich, ob diese Umkehrung der Werte im heutigen Jugendslang vielleicht doch was Neues ist. Irgendwie wittere ich im Hintergrung MTV etc.? Oder irre ich mich?
Fest steht jedenfalls: "BÖSE“ verkehrt herum ist "ESÖB“.
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