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Der Neue und der Alte

Darf ich vorstellen: Professor Philip M. Parker. Ich wäre überrascht, wenn Ihnen dieser Name etwas zusagen würde. Er ist Amerikaner und Professor der "Management Science“ (wenn ich nur wüsste, was "Management Science“ bedeutet; “Verwaltungswissenschaft“ wäre keine passende Übersetzung; denn wie jeder weiß, ist ein "Manager“ heutzutage lange kein Verwalter mehr).

Ich stelle Ihnen Professor Parker vor, weil er ein Unikat ist. Ich habe nämlich über ihn in der "New York Times“ (Ausgabe: 15. April 2008) gelesen, dass er Autor von mehr als 200.000 Büchern ist. Im Ernst.

Wobei es nach Auskunft der englischsprachigen Wikipedia nur 85.000 Titel sind. Neugierig forschte ich bei Amazon. Dort entdeckte ich von ihm allerdings mickrige 97 Titel – auch das wäre freilich für einen normalen sterblichen Autor viel.

Prof. Parker ist aber kein normal sterblicher Autor. Vor allem, weil er seine 200.000 Bücher selbst nicht schreibt. Er lässt sie, so die "NY Times“, "generieren“. Das heißt: Er hat sich ein Programm ausgetüftelt, dass ihn erlaubt, aus dem Internet Informationen zu bestimmten Themen zu sammeln. Diese Infos lässt er zu Büchern organisieren. Es handelt sich natürlich um Gemeingut. Jeder könnte also genauso recherchieren wie er. Sein Kunststück: Er speichert seine "Bücher“ im Rechner und bietet sie über seinen eigenen Verlag als „books on demand“ an. Das heißt: Ein Exemplar wird nur dann ausgedrückt und gebunden, wenn ein Kunde es bestellt. Seine Eigenkosten sind also minimal.

Professor Parker beschreibt sich als den "am meisten veröffentlichten Autor in der Geschichte des Planeten“. Ich zweifele nicht daran.

Vielleicht möchten Sie wissen, was für Bücher er "verfasst“. Es sind hauptsächlich Ratgeber, diverse Informationen über Krankheiten, Fachbücher zu medizinischen Themen, auch Kreuzworträtsel. Einer seiner Titel handelt von Badematten in Indien. Wenn ich es richtig verstanden habe, kostet dieses Buch 495 US-Dollar. Am besten schauen Sie selbst bei Amazon. Momentan arbeitet der Professor an einem Programm, das Romane generieren soll. Wir freuen uns schon.

Zugegeben, Prof. P. scheint ein Exotiker zu sein. Andererseits ist das Phänomen Professor Philip M. Parker nicht ganz ohne. Fast möchte ich behaupten, dass er ein Vorläufer des Schriftkundigen der post-postmodernen Zeit ist.

Genau genommen, ist er ein Verwerter von "Daten“, die sonst keine Verwendung mehr finden. Sie wissen, was Daten“ sind, oder? Es sind quasi die Abfälle des Informationszeitalters. Wenn man im Zustand des Informationsüberflusses lebt (wie wir es tun), so türmen sich die überflüssigen Fakten wie wahre Müllberge. Philip M. Parker ist einer der ersten, der entdeckt hat, dass man "Daten“ ebenso "recyclen“ kann wie alte Milchkartons und sonstige Verpackungen, Essensreste usw.

Darüber hinaus verdient der fleißige "Autor“ offenbar nicht schlecht dank dieser Tätigkeit am Infowertstoffhof.

Prof. P. ist mein Beispiel für den Neuen. Und jetzt zum Alten: In der "New York Times“ – ebenfalls in der Ausgabe vom 15. April 2008, das heißt am gleichen Tag, als der Artikel über Parker erschien, habe ich einen Nachruf über Eugene Ehrlich gelesen. Auch Ehrlich kennen Sie höchstwahrscheinlich nicht. Er war der Autor mehrerer Bücher über die Feinheiten der englischen Sprache und ist Mitte April mit 85 Jahren gestorben. Er galt als eine Art Wächter über meine Mutterzunge, und man hat seine gütige Strenge lange geschätzt. Als er im Sterben lag, so habe ich gelesen, sammelte sich seine Familie um ihn, wobei einer geredet und die Formulierung "to who“ (etwa "an wer“) benutzt habe – was in der Umgangsprache ganz normaler Usus wäre. Der sterbende Sprachwächter erhob aber seine schwache Stimme: "to whom“, korrigierte er mit einem letzten Aufflammen der Autorität, und dann verstarb er.

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