Dass ich heute übers Schriftstellerische nachdenke, liegt vielleicht daran, dass ich mich momentan in Weimar befinde und täglich mit den diversen Spuren Goethes, Schillers, Wielands, Herders und Co. konfrontiert bin.
Der schreibende Mensch, und so einer bin ich, kommt nicht umhin, in dieser hochkarätigen literarischen Umgebung Gedanken über die eigene Beschäftigung mit dem geschriebenen Wort zu machen.
In diesem wortreichen Ambiente schmökere ich ebenfalls in meiner Urlaubslektüre: Diesmal einem Roman der belgischen (oder ist sie Französin?) Amélie Nothomb und einigen Kurzgeschichten des skurrilen Uruguayers Felisberto Hernández. Ja, ich lese gerne in einer Fremdsprache, zumindest wenn ich sie einigermaßen beherrsche.
Deutsche Klassiker, Französisch und Spanisch schreibende Autoren: Plötzlich sann ich nach: Alle haben eins gemeinsam: Sie haben ihre Texte in ihrer Muttersprache geschrieben, während ich mich ständig mit einer Fremdsprache abmühe!
Lange habe ich dieses meine Schicksal, in der Fremdsprache zu schreiben, für einen Fluch gehalten: quasi für den Tod des Wortschöpfers. Ich beneidete alle Schriftsteller und Dichter, die das Glück hatten, ihre Ideen und Empfindungen in Formulierungen der vertrauten Sprache der Kindheit umzusetzen. Ganz anders meine Aufgabe: Ich kämpfe ständig mit dem Sog zweier "Programmierungen“, um die passenden Worte zu finden, die ich in meine Sätze zwängen möchte.
Doch jetzt weiß ich , das es kein Fluch ist. Im Gegenteil. Es ist eine einzigartige Gelegenheit für einen Schriftsteller, den Gegenstand "Sprache“ beinahe als objektiven Prozess zu erleben. Damit meine ich: Wer in der Muttersprache schreibt, denkt wenig über die Struktur seiner Sprache nach, höchstens über den Rhythmus seiner Sätze oder über die Klarheit der Formulierungen, die seinen Ideen Form geben sollen.
Ich hingegen bin mit dem ganzen Wunder des Phänomens "Sprache“ ständig konfrontiert. Das heißt: Mir ist jederzeit bewusst, dass eine Sprache kein selbstverständliches Kommunikationsmittel ist, sondern Wort für Wort, Satz für Satz ein syntaktisches Puzzlespiel. Somit schlüpfe ich schnell in die Rolle eines Außerirdischen, der Kenntnisse eines "Codes“ erworben hat, um den Kontakt mit den "Hiesigen“ zu vereinfachen. Was dem Erdenmenschen in Punkto Sprache zweite Natur ist, bleibt dem Außerirdischen andauernd ein künstliches Gebilde. Umso mehr hegt er eine gewisse Ehrfurcht für dieses Verständigungsmittel.
Zugegeben: Ich bin nicht ganz ein Außerirdischer. Trotzdem: Der Gebrauch der Fremdsprache, des Deutschen, ist für mich zu einer Art Disziplinierungsmaßnahme geworden. Ich achte ganz genau auf jede Silbe, um jene Verständigungsfehler zu vermeiden, die bei Muttersprachlern nie vorkommen würden. Für mich ist diese "Last“ letztendlich aber ein Gewinn.
Mit Anfang zwanzig habe ich in einem Nachtklub, "Baudelaire’s“, in Santa Barbara, Kalifornien, gekellnert. Zwei Abende in der Woche traten Bauchtänzerinnen auf. Eine von ihnen, eine feeartige Erscheinung mit farbenfrohen, durchscheinenden Schleiern, balancierte beim Tanzen stets eine Glaspyramide auf dem Kopf, und sie tanzte wahrlich sylphidenhaft. Einmal fragte ich sie, warum sie die Glaspyramide auf dem Kopf balancierte. "Ohne sie tanze ich sehr undiszipliniert“, antwortete sie, "ich bewege mich wie eine Tingeltangeltänzerin. Ich brauche meine Pyramide, um mich zu konzentrieren.“
Mir geht es ähnlich mit der deutschen Sprache. Sie ist meine Glaspyramide geworden. Und jeder deutsche Text, den Sie von mir lesen, ist wie mein eigener Bauchtanz.
Add new comment