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„Lustwort“ oder „Wortlust“? Einführung in die Gedächtniskunst

Stammgäste dieser Seite wissen, dass ich manchmal auf „Lustwort“, einen Nachbar auf der Blogstraße, hinweise. Diese Straße befindet sich übrigens in einer ruhigen Wohn- und Einkaufsgegend weit vom Zentrum jener regen und zum Teil gefährlichen Stadt namens WehWehWeh.

Sollten Sie meinen Nachbarn Gorg, so heißt der Inhaber des Nachbarwortladens, besuchen, was ich empfehle, sage ihm von mir einen schönen Gruß. Gorg ist m.E. ein viel konsequenterer Bloggist als ich. Er meldet sich mit mal längeren mal kürzeren Beiträgen nur wenn er unbedingt das Bedürfnis hat, etwas mitzuteilen. Er buhlt also nie um Leserschaft. Wer das Glück hat, seinen eleganten Laden zu betreten, wird ein großes, diverses Angebot vorfinden.

Doch nun muss ich Peinliches eingestehen:

Manchmal komme ich mit dem Namen seines Wortladens „Lustwort“ durcheinander. Ich bilde mir ein, es müsste „Wortlust“ heißen…
Was irgendwie logisch wäre. „Wortlust“ signalisiert, dass einer – oder eine – Lust auf Wörter bzw. Worte hat. Oder?

Denke ich hingegen an „Lustwort“, fällt mir zuerst die Vokabel „Lust“ ein, ein Wort, das man zweierlei deuten kann. Man fragt sich: 1.) Geht es hier um Schweinereien? Oder: 2.) Verkündet der Ladeninhaber seine Lust auf Wörter bzw. Worte?

Vielleicht existiert diese Konfusion nur in meinem Kopf. Eines Tages fragte ich den Vorsitzenden Google über den Begriff „Wortlust“ aus. Im Nu erfuhr ich, dass ein URL mit diesem Namen zu erwerben wäre!

Gestern suchte ich wieder nach diesem Begriff. Und siehe da! Jemand hatte den URL gekauft! Diese „Wortlust“ scheint eine Art Erotik-Agentur geworden zu sein. Ich habe die Sache nicht näher untersucht.

Komisch, wie man sich täuschen kann.

Doch jetzt komme ich endlich zum eigentlichen Thema. Ich stellte mir die Frage: Was kann ich tun, damit ich nie wieder „Lustwort“ und „Wortlust“ durcheinanderbringe? Die Antwort ist easy, und sie lautet: Ich brauche lediglich einen Trick der altertümlichen Gedächtniskunst anzuwenden.

Noch nie davon gehört? Der Tradition zufolge wurde diese Kunst von einem gewissen Simonides von Keos erfunden. Er florierte am Anfang des 5. Jh. vor der Zeit und ging in die Geschichte ein als großer Lyriker. Leider haben nur ein paar seiner Gedichte den Zahn der Zeit überstanden. Das wäre für die Menschen der Antike, als würde ich sagen, es gab mal einen Typen namens Goethe. Wir kennen sein Werk aber nur aus einigen Fragmenten. Lediglich ein Gedicht, das mit den Worten „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ ist noch vollständig vorhanden.

Heute weiß man nicht, wie das Gedächtnislehre Simonides aussah. Die ersten ausführlichen Quellen entstanden in Rom. Das älteste Werk zum Thema heißt „Rhetorik für Herennius“ (Rhetorica ad Herennium) und wurde ca. 80 v.d. Z. verfasst. Man kennt den Autor nicht. Früher meinten die Gelehrten, es wäre wohl Cicero gewesen. Stimmt nicht.

Das Buch wurde extra für Rhetoriker geschrieben, weil die Rhetoriker lange Texte bzw. Plädoyers auswendig lernen mussten. Der unbekannte Autor hat viele praktische Tricks in petto. Alles kann ich in kurzen Worten nicht erläutern. Müssten Sie selbst lesen. Nur einen Trick verrate ich hier. Und den können Sie bestens verwenden, um Begriffe wie „Wortlust“ und „Lustwort“ auseinanderzuhalten. Darüber hinaus ist dieser Trick auch praktisch, falls Sie ohne Einkaufsliste in den Supermarkt vorpreschen möchten.

Es funktioniert folgendermaßen: Das, was man sich einprägen will, muss man bunt und fantasievoll einkleiden. Das heißt: sich ein Bild – ja ein richtiges Bild – ausdenken. Beispiel: Will ich mir einprägen, dass Gorgs Seite „Lustwort“ heißt, stelle ich mir vor, dass Gorg ein Pferd und sein Wortladen ein Pferdewagen ist. Gorg zieht den Wagen von links nach rechts voran. Das heißt: Das Pferd steht näher zum Wort „Wort“ als zum Wort „Lust“. Ich brauche lediglich jedesmal an dieses Bild zu denken, und prompt weiß ich, dass Gorgs Laden „Lustwort“ heißt.

Das wäre nur eine Möglichkeit. Jeder darf sich eine eigene ausdenken. Der anonyme Autor von „Rhetorik für Herennius“ empfielt auch derbe Schweinereien als Bilder, wenn sie helfen, etwas einzuprägen.

Lesen Sie „Ad Herrenium“ selber. So ein Buch vergisst keiner.

Comments

Mensch PJ, da bin ich ja wieder erfreut auf einen Artikel gestoßen, der sich mit Lustwort befasst. Und natürlich muss ich meinen Senf dazu geben: Danke für die Erwähnung und die sprachlich-philosophischen Gedanken; und dann noch der wahnwitzige Sprung zu Simonides! Wortlust hatte ich schon lange im Auge, aber der Typ wollte zu viel Geld für diese Adresse haben. Und Lustwort ist definitiv besser, knackiger, ungewöhnlicher! Ursprünglich war es übrigens mal die Idee, lustige Wörter zu sammeln (und das ist die Eselsbrücke!). Jetzt ist es mehr geworden und es gibt viele schöne Bedeutungen und Herleitungen für das Wort, das selbst Goethe mal erwähnte, und über die ich natürlich auch schon ausgiebig berichtete. Auch unabhängig davon schaue ich immer wieder gerne bei Dir vorbei! Liebe Grüße, GORG

Danke, lieber Gorg! Das Wort Eselsbrücke hat der Autor von Ad Herrenium nicht gekannt. Er hat es sicherlich gemeint mit seinem Bildtrick...er kannte aber noch andere raffinierte Tricks. Dito Cicero übrigens. Die Gedächtniskunst verfügt über verschiedene Techniken. Aber das alles hier zu erläutern, wird zu viel, und die Lektüre von ad Herrenium und Cicero bleibt empfehlungswert. Fest steht jedenfalls: Lustwort hab ich mir jetzt definitv eingeprägt. Gleiches gilt bestimmt für manche Leser dieser Seite. Auch von mir einen lieben Gruß. PJ

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