Meinerseits vielleicht nur Einbildung, aber ich achte ständig auf die Anrede und den Schlussgruß (oder wie meine Frau so schön sagt, die "Ausrede“) eines Briefes.
Die Gründe für diese Aufmerksamkeit sind zweierlei. Zum einen: Weil die Formulierungen selbst – so meine ich – einiges über den (oder die) Briefeschreiber(in) verraten. Genauer gesagt: Sie erzählen einiges sowohl über die Beziehung zwischen Sender(in) und Empfänger(in) wie auch übers Gemüt bzw. die momentane Stimmung der schreibenden Person. Zum anderen: Weil ich mir einbilde, dass der Gebrauch von Ein- und Ausreden ein gewisses Feingefühl verlangt.
Fangen wir mit der Anrede an. Sie wird noch immer etwas formelhafter gehandhabt als der Schlussgruß. Wenn ein Brief einen geschäftlichen Zweck hat, schreibt man "sehr geehrte(r)“. Um eine Informalität an den Tag zu bringen, verwendet man hingegen "liebe(r)“. Einstige sprachliche Folterinstrumente wie etwa "sehr verehrte“ (für die Damen) oder "werte(r)“ sind schon lange im Aussterben begriffen. Heutzutage erlaubt der Email-Verkehr zusätzlich das lockere "hallo“ oder "he, Mann!“ und sonstige Flappsigkeiten. "Teure(r)“ scheint völlig veraltert zu sein. "Mein(e) liebe(r)“ oder "mein(e) liebste(r)“ sind noch immer im Gebrauch und weiterhin ernstzunehmen.
Kniffeliger wird die Sache meines Erachtens im Bezug auf den Schlussgruß. Zunächst die Möglichkeiten:
"Hochachtungsvoll“ (Behördendeutsch oder veraltet)
"Mit freundlichen Grüßen“ (Ämter, Geschäftsbriefe)
"ergebenst“ oder "Ihr(e) ergebenste(r) (vermodert)
Obige drei "Ausreden“ drücken jedenfalls Unmissverständliches aus. Sie sorgen stets für klare Verhältnisse, sind trocken und höchst unpersönlich. Nebenbei: In Emails stößt man zunehmend auf "mfg“.
Und nun zu den übrigen Möglichkeiten. Also der Reihe nach:
"Gruß“, "Grüße“ (klingt burschikos, will immer ein bisschen Distanz schaffen)
"Herzliche (oder herzlichste) Grüße“ oder "einen herzlichen Gruß“ oder "herzlichst“ (Können gefühlsneutral ausgelegt werden, können aber ebenfalls eine wirkliche Herzlichkeit – vor allem im Fall von "herzlichst“ – mitteilen)
"Schöne Grüße“ oder "einen schönen Gruß“ (will Freundlichkeit aber nicht zu viel Nähe preisgeben)
"liebe Grüße“, "einen lieben Gruß“, "Alles Liebe“ oder der Emailneuling "lg“. (Mit Ausnahme von "Alles Liebe“ halte ich die übrigen Mitglieder der "Liebe-Familie“ für Beispiele einer verwässerten Liebesbekundung. Das Wort "Liebe“ scheint ohnehin längst zur Floskel herabgesetzt worden zu sein – vielleicht nur meine Empfindung. Gleiches gilt übrigens für "love“ in amerikanischen Briefen).
Aber jetzt kommen wir zum Thema "Feingefühl“. Ich bilde mir ein, dass man sehr bewusste Entscheidungen trifft, jedesmal, wenn man von einem Schlussgruß Gebrauch macht. Denn der Schlussgruß wirkt beinahe so ikonisch wie ein "Emotikon“, ein Ausdruck von Gefühlen anhand von Schriftzeichen also. Auf diesem Gebiet will natürlich niemand Fehler machen. Man will weder zu viel noch zu wenig über seine Gefühlslage verraten. Das Resultat: Schnell wird die Sprache der Schlussgrüße zur Metasprache.
Und noch etwas. Hier verrate ich vielleicht nur eine private Tücke, aber sei’s drum: Ich versuche stets, eine andere Schlussgrussformulierung als die meiner jeweiligen Korrespondenten zu verwenden – als würde ich dadurch eine höchstpersönliche und individuelle Duftnote setzen, um nicht sklavisch die Gefühlslage des/der anderen nachbilden.
Mit der Anrede habe ich dieses Problem allerdings nicht, weil sie, wie schon oben gesagt, noch immer einigermaßen formelhaft bleibt.
Geht’s Ihnen genauso? Es grüßt Sie ganz herzlich, Ihr Sprachbloggeur.
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