Ursprünglich wollte ich dieser Glosse die Überschrift "Geiz war geil“ geben und meinte dabei, ich sei ein richtiges Cleverli. Doch dann stellte ich fest, dass andere – viele andere – mir längst zuvorgekommen waren. Unter diesem Satz entdeckte ich bei einer Googlesuche nämlich etwa 1400 Treffer. Schnell zog ich die Notbremse.
Meine Entscheidung über "Geiz ist/war geil“ zu schreiben traf ich ganz spontan, nachdem ich einen Werbeprospekt eines bekannten Elektrogroßgeschäfts (den Namen verrate ich ohne Werbevertrag nicht) überflogen hatte. An der Stelle, wo ich mit der Losung "Geiz ist geil“ gerechnet hatte, las ich: "Wir hassen teuer“.
"Hmm“, sagte ich meinem Sohn. "Offenbar ist der Geiz nicht mehr geil. Schau, sie haben den Werbespruch ausgewechselt.“
Mein Sohn beäuigte mich mit seinem mir sehr bekannten Bist-du-die-ganze-Zeit-hinter-dem-Mond-gewesen-Blick, und antwortete angestrengt geduldig, "'Geiz ist geil' gibt es schon lange nicht mehr als Losung. Schaust du dir die Werbung nie an?“
Ja, er hatte recht. Nun galt es eigene Recherchen anzustellen. Und siehe da: Bald habe ich entdeckt, dass dieser zündende Werbespruch, Geistesprodukt der Werbeagentur Jung von Matt, bereits Mai 2007 aussortiert wurde. Offenbar weil er – zumindest auf der Metasprache-Ebene – zu sehr den Preis anstatt der Qualität der Waren betonte, was wiederum andeutete, es handele sich um ein Geschäft, wo man nur nach Billigem hasche.
Das Elektrogroßgeschäft trennte sich – immerhin nach fünf Jahren – vom Werbespruch und auch von der ihn produzierenden Werbeagentur. Die Nachfolgeagentur punktete alsbald mit "Wir hassen teuer“.
Aber warum erzähle ich Ihnen eine Geschichte, die Sie wahrscheinlich viel genauer verfolgt haben als ich, der die ganze Zeit hinter dem Mond war? Mir geht es darum, dass dieser Spruch, "Geiz ist geil“, ein Eigenleben bekommen hat.
Erstmal kurz zum Wortlaut: „Geiz ist geil“ (schier genial, wahre Poesie!) "Geiz“ und "geil“, zwei Wörter aus dem Reich der Habgier, beide Begriffe der prickelnden Sündhaftigkeit – und obendrein beinahe Buchstabenzwillinge – werden in diesem Spruch nach den Regeln des Wortzaubers in einer brodelnden Hexenbrühe zusammengerührt. Deshalb zünden sie so intensiv. Man kann sie nicht vergessen, wenn man sie einmal vernommen hat. Sie hausen bald wie ein chronisches Wortvirus im Stammhirn.
Und gerade diese "Ansteckung“ war das Problem. Denn längst sprengte der geniale Spruch die ursprünglich vorgesehenen Grenzen seines Tätigkeitsfelds. So provozierend war dieses Duo, dass man bald über die "Geiz- ist-geil-Mentalität“ lästerte – und noch immer lästert. Der Spruch prägte sich jenseits der Gänge eines Elektrogroßgeschäfts ins allgemeine Bewusstsein ein. Das war gut für den Spruch, schlecht indes für das oben erwähnte Elektrogroßgeschäft, weil die "Geiz-ist-geil-Mentalität“ bald als etwas Verwerfliches galt. Erfolg also als Niedergang.
Wetten, dass man auch in zwanzig Jahren "Geiz ist geil“ noch immer sagen wird? Wetten, dass sich "Geiz ist geil“ zu seiner authentischen deutschen Redewendung mausern wird? Der Zug ist , so behaupte ich, bereits im Rollen.
Mit "Wir hassen teuer“ oder "ich bin doch nicht blöd“ kann man vielleicht Computer und Drucker gut verkaufen. "Geiz ist geil“ geht hingegen tief unter die Haut, so tief, dass es gar nicht wundern kann, wenn die künftigen deutschen Nachschlagwerke diesem Geniestreich der Werbeagentur Jung von Matt einen gebührenden Platz bieten werden.
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