Wäre ich der Großherzog von Luxemburg, würde ich, wenn ich über die schmalen Landstraßen meines Ländleins durch leuchtendgrüne Felder und dunkle Wälder führe, mich umschauen und mit Genugtuung denken: "Mein Baum, meine Wiese, meine Hasen, meine Eichhörnchen, meine Reiher, meine Habichte, meine Straße, meine Straßenschilder. Klein, fein und alles meins.“
Diese Fantasie hatte ich während meines zweiten Besuchs im postkartenschönen Großherzogtum, und ich sann dabei: Wenn ich jünger wäre, würde ich prompt nach Luxemburg ziehen, um mein ganzes Leben in diesem sanften Ländchen zu verbringen.
Diese Gedanken beziehen sich, wie gesagt, auf meinen zweiten Besuch.
Ich war in Luxemburg bereits im April 1975 und betrat am dortigen Flughafen zum ersten Mal europäischen Boden. „Du wirst sehen“, warnte mich meine damalige Begleiterin – oder wie man heute gerne sagt: meine Lebensabschnittspartnerin – , "alles ist bei uns in Europa viel kleiner als bei euch in Amerika: die Autos, die Straßen, die Gärten, sogar die Einkaufswägen.“ Sie hatte recht. Auch die Staaten, wie es sich herausstellte.
Doch ein Erlebnis insbesondere prägte damals ein. Wir waren im Hauptbahnhof, um mit dem Zug nach Frankfurt weiterzufahren. Ein junger Mann (auch ich war damals ein junger Mann) und eine junge Frau standen hinter einem improvisierten Pult mitten im Bahnhof und gaben Reisenden Auskunft. Fragte jemand auf Französisch, so antworteten sie Französisch. Fragte jemand auf Englisch oder Deutsch, so antworteten sie in diesen Sprachen. Diese Vielsprachigkeit des Paars imponierte mächtig. Aber jetzt das Beste: Ich vernahm, dass sie untereinander eine vierte, ganz andere Sprache redeten, und ich war außerstande diese zu identifizieren. Es war das Lëtzebuergesche – damals mir noch kein Begriff.
Erst als ich 2006 Luxemberg besuchte, fiel mir obige Anekdote wieder ein. Inzwischen war ich selbst ein bisschen wie die zwei jungen Menschen von damals geworden – nur bin ich nicht mehr ganz so jung. Auch ich kann mich auf Englisch, Deutsch und Französisch verständigen und wäre heute in der Lage im dortigen Bahnhof Reisenden Auskunft zu geben.
Und dann hörte ich das Lëtzebuergesche wieder: auf der Straße, im Radio und im Fernsehen. Diesmal stellte ich aber fest, dass ich es – zumindest teilweise – verstehen konnte.
Es ist eine richtige, eigenständige Sprache, stellte ich fest – genauso wie Deutsch, Ungarisch oder Farsi Sprachen sind. Genauer gesagt, es ist ein Verwandte des rheinländischen Platts, das zugleich mit zahllosen französischen Vokabeln durchsiebt ist – eine Spache also, die teils Französisch und teils Germanisch ist – so wie das Englische. "Ech spille, du spills, hie/si/et spillt“ ("spielen“). Vieles erkennbar und manches doch nicht. "Bréifboîte“ für "Briefkasten“, "bass de prett?“ für "bist du fertig“ (französisch "prêt“ bedeutet "fertig“) und Wörter wie "changéieren“ ("umsteigen“), "campéieren“ ("campen“) und "depannéieren“ ("abschleppen“). Natürlich gibt es auch jede Menge deutschstämmiger Wörter, die wir in der Hochsprache nicht gebrauchen: "trëllen“ ("stürzen“), "labber“ ("locker“), "druddelen“ ("fest drücken“).
In dieser kurzen Glosse kann ich kaum einen Eindruck von dieser schön klingenden Sprache vermitteln. Sie ist uns vertraut und fremd zugleich – etwa wie das Niederländische. Das Lernen des Lëtzebuergeschen erfordert sicherlich viel Übung – nicht anders wäre es, wollte man das Schwyzerdütsch meistern. Für einen Deutsch sprechenden Menschen wäre dies aber nach kurzer Zeit möglich, auch wenn man ein bisschen fremd klänge.
Waren sie mal in Luxemburg? Kennen Sie die Kasematten? Irgendwie ist Luxemburg noch immer ein Geheimtipp geblieben – auch wenn es der Standort des Europäischen Gerichtshofs ist und an der deutschen Grenze liegt. Machen Sie selbst einen Eindruck von diesem Land und seiner Sprache, die einem fast wie eine Geheimsprache vorkommt – obwohl gleich nebenan.
Falls Sie den Großherzog antreffen, sagen Sie ihm vom Sprachbloggeur einen schönen Gruß.
Add new comment