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Das Nasher Sculpture Center – Heute buchen, morgen besuchen!

Original oder Übersetzung? Welcher ist Ihnen lieber, liebe Kulturkonsumenten?

Nie hätte ich gedacht, dass ich eine solche Frage stellen würde. Doch dann erhielt ich liebenswürdigerweise eine Einladung zu einem Konzert am Nasher.

Ein bisschen Hintergrund:

Einmal im Jahr fliege ich aus privaten und beruflichen Gründen nach Dallas, Texas. Den Namen dieser Stadt kennen Sie ganz sicher. Leser, die ein gewisses Alter erreicht haben, erinnern sich an das „Ekel“ JR, der in der Zeit von 1978 bis 1991 in der Fernsehserie „Dallas“ für Unmut sorgte. Manche junge Streaming-Junkies kennen das fesselnde Familiendrama auch heute im Netz.

Dallas ist wie viele amer. Städte. Die Wolkenkratzer ragen am Stadtkern in die Höhe. Ringsherum liegt ein Meer von Wohngegenden, Verkehrsadern (oft verstopft) und Shopping Centers.

Zum Glück aber hat Dallas – und die Nachbarstadt Fort Worth –auch anderes zu bieten: lauter Museen, die einfach Weltklasse sind. Eins davon ist das Nasher Sculpture Center.

Doch nun wieder zu der Frage: Original oder Übersetzung?

Lucia Simek, PR-Dame vom Nasher, hat uns, meine Frau und mich, während unseres Aufenthalts in Dallas zu einem Abendkonzert am Sculpture Center eingeladen. Nebenbei: Die Skulptursammlung am Nasher ist atemberaubend schön: Picasso, Moore, Gauguin, Matisse, Giacometti, Chamberlain, Judd, Stella etc. etc. Dazu immer eine höchst aktuelle Sonderausstellung. Und als besonderer Bonbon gibt es den Skulpturgarten: einen Lustgarten am Fuß des Hochhäuserdschungels mitten im Downtown.

Das Abendkonzert war ein Zweiteiler. Im ersten Teil wurde der bahnbrechende zwölftönerne Sprechgesang „Pierrot Lunaire“ von Arnold Schönberg vorgeführt – und zwar auf Deutsch. Teil zwei lockte mit einem bunten Medley Kurt Weill-Lieder – ein Teil davon aus der Zeit seiner Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht.

Ich hab mich wahnsinnig auf diesen deutschsprachigen. Liederabend mitten in Dallas gefreut. „Pierrot Lunaire“ kannte ich bisher nur namentlich. Die skurrilen Brecht-Weill-Lieder beherrsche ich gut und liebe sie leidenschaftlich. Doch nun erfuhr ich, dass manche der Brecht-Lieder auf Englisch vorgetragen werden sollten. Ein leichtes Gefühl der Enttäuschung drohte meine Vorfreude einzutrüben. Brecht galt für mich nur auf Deutsch. Aber nun zum Konzert…

Teil eins: Pierrot Lunaire. Die Darstellerin, Lucy Shelton hieß sie, war zwar Amerikanerin, hatte aber die Nuancen dieses witzigen deutschsprachigen Gesangzyklus derart perfekt und souverän beherrscht, dass ich sie für eine deutsche Muttersprachlerin hielt. Bravo.

Teil zwei: Die Weill-Lieder. Nun erwartete ich die gleiche bravuröse Leistung. Lights out. Dann erstrahlte ein Scheinwerfer den englischen Schauspieler Walter Van Dyk, der nun sang: „Und der Haifisch, der hat Zähne…“ Hmm. Leichten britischen Akzent aber so what. Doch dann passierte es. Er sang „An ‘nem schönen blauen Sonntag/liegt ein toter Mann am Strand…“ Nur: Es hieß bei ihm nicht „Strand“, sondern „Stränd“. Aua.

Als Engländerin Liza Sadovy „Ach, bedenken Sie, Herr Jakob Schmidt!/Ach, bedenken Sie, was man für dreißig Dollar kriegt…“ tönte, war ich vollends irritiert. Wieder ging es um eine Kleinigkeit. Sie sprach das Wort „Dollar“ nach englischer Art aus, also „Daller“. Damit war die witzige Stimmung futsch.

Inzwischen hatte ich mich auf eine vollkommene Enttäuschung eingestellt. Stattdessen geschah ein Wunder: Die Darsteller trugen fortan alle Brecht-Lieder in engl. Übersetzung vor. Und es hat großartig geklappt!

Ich gebe zu. Ich liebe es, wenn Lotte Lenya mault: „Nimm die Pfeife aus dem Maul, du Hund.“ Doch es klingt nicht weniger überzeugend, wenn eine engl. Muttersprachlerin, die gut schauspielt, „Take that damn pipe out of your mouth, you rat“ rezitiert. Oder wenn Seeräuberin Jenny lapidar deklariert “So I say: Shoot them all!” anstatt, “Und ich sage: Alle!”.
Van Dyk und Sadovy brillierten in Übersetzung, zogen alle Register gekonnt. Hut ab!

Fazit: Lieber eine schöne Übersetzung als ein lahmes Original.

Und vergessen Sie nicht: Auch das Museum ist ein Traum. Heute Buchen, morgen besuchen…

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