Wäre es nicht schön, wenn wir alle nett zueinander wären und kein Mensch mehr über Krieg redete nur noch über den Frieden?
Im Paradies habe ich jemanden kennengelernt, der nach dieser Devise zu leben scheint.
Sie wissen vielleicht schon: „Paradies“ ist der Name meines Lieblingsobstundgemüseladens. (Oder sagt man: „Lieblingsobst- und Gemüseladen? Das nur nebenbei gefragt).
Ich hatte eine Avokado, einen Kopfsalat, Erdbeeren und, glaube ich, eine Flasche Granatapfelessig (sehr lecker, nur zu empfehlen), gekauft. Die Kasse registrierte elf Euro und elf cent. Frau M. bestand darauf, den Betrag auf elf Euro abzurunden. Manchmal tut sie das, vielleicht weil ich über den Laden so gerne schreibe. Schriftstellerrabatt also.
Trotzdem war ich plötzlich bei der Zahl „elf elf“ hängengeblieben. Diese Zahl hat nämlich bei mir die Erinnerungsmaschine in Gang gesetzt. In Bayern erweckt „elf elf“, bzw. „Elfter Elfter“, automatisch Gedanken an den Faschingsanfang. In meiner Kindheit mussten wir jedes Jahr am elften November um elf Uhr elf Minuten in meiner Grundschule in der Bronx stillschweigend aufstehen, um eine Minute lang des Endes des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Denn an diesem Tag und zu dieser Stunde und in dieser Minute hatten 1918 alle Kriegführenden die Waffen niedergelegt. Bei uns hieß dieser Tag fortan „Armistice Day“, also „Tag des Waffenstillstands“. Den Feiertag gibt es schon lange nicht mehr in den USA.
Während ich lange und wahrscheinlich viel zu ausführlich in dieser Erinnerung schwelgte, betrat eine Kundin das Paradies. Sie war bestimmt nicht viel älter als ich, schob aber einen Rollator vor sich her. Man kann nur von Glück reden, wenn man selbst noch keinen Rollator vor sich herzuschieben hat. Ich kannte die Dame nur vom Sehen, hatte mit ihr noch nie ein Wort gewechselt. „Ich erzähle grad vom Ende des Ersten Weltkriegs“, erklärte ich, „der am Elften Elften zu Ende ging.“
Sie schaute etwas skeptisch drein.
„Nicht der Zweite Krieg, sondern der Erste“, fügte Frau M. hilfreich hinzu.
„Wahrscheinlich haben junge Leute heute keine Ahnung, wann der Erste Weltkrieg war oder dass es ihn überhaupt gegeben hat“, sagte ich ein bisschen altklug.
„Besser so“, sagte die Frau streng. „Man soll jeden Krieg vergessen und nur über den Frieden reden.“
„Aber ohne Geschichtskenntnisse sind wir praktisch vorverurteilt, die gleichen Fehler zu wiederholen“, antwortete ich gewissenhaft.
„Die Menschen sollen nett zueinander sein und alles miteinander teilen und in Liebe zueinander leben…“
Ich gebe hier nur den Anfang ihrer Rede wieder. Bald legte sie sich ganz heftig ins Zeug. Ein endloser Monolog über Frieden, Freude, Eierkuchen – auch Jesus fehlte nicht, wenngleich sein Auftritt in ihren Argumenten für den Frieden nur sehr kurz war. Sie war mit ihren Ausführungen lange nicht fertig , als ich mich mitten im Satz friedlich und freundlich verabschiedete. Selbstverständlich hatte ich Frau M. schon die elf Euro bezahlt.
Mir fiel dieses Gespräch am Abend wieder ein, während ich eine lange Liste von Kommentaren an den Sprachbloggeur studierte, Kommentare, die Sie als Leser selten zu sehen bekommen. Es sind eigentlich keine Kommentare, sondern peinlich dumme Werbetexte von Spammern, die versuchen auf meine Kosten Turnschuhe, Potenzmittel, Elektronik, Ferienhäuser in Polen, Esoterikwochenenden und Spielkasinos an den Mann und an die Frau zu bringen.
Ich bin täglich damit beschäftigt, diese falschen Freunde zu eliminieren. Der neueste Trick: Spammer registrierte sich ganz normal als „Benutzer“ dieser Seite. Das machen sie, weil registrierte Benutzer Kommentare ohne vorherige Kontrolle ihrer Texte veröffentlichen dürfen. Nun bin ich dabei, die Mitgliedschaft dieser neuen „Benutzer“, die bestimmt kein Wort Deutsch lesen, zu blockieren. Diese neue Generation von Spammern stammt übrigens (fast) ausnahmslos aus China.
Ich dachte an die Dame im Paradies, die den Krieg verbieten und die Welt in ein kuscheliges Liebesfest verwandeln möchte. Hätte sie eine Webseite, wie sähe diese aus, habe ich überlegt. Ein müßiger Gedanke. Denn ich weiß: Es wird immer Menschen geben, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, die den Tod Osama bin Ladens als einen entsetztlichen Verstoß gegen seine Bürgerrechte verschreien und die gerne vergessen, dass es Kriege gegeben hat und geben wird. Hauptsache Ruhe.
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