You are here

Gunter Sachs und ich reden über den „wuss“

Kaum blitzte das Schwarz-Weiß Foto des alten „Lebemanns“ über den Bildschirm, schon habe ich den Sinn des Ikons begriffen. „Gunter Sachs ist tot“ sagte die Nachrichtensprecherin mit einer gewissen Pietät. Das ist immer der Tonfall im Fernsehen, wenn ein „Prominenter“ von der Bühne abtritt.

Am nächsten Tag skandierte die Münchener Abendzeitung: „Trauer um den letzten Playboy“. Ab sofort konnte man sich in die erste Folge einer mehrteiligen Serie über Leben und Werdegang des Verstorbenen vertiefen. Dass man manche Tote besonders gut vermarkten kann, weiß jeder Boulevardblattmacher. Gunter Sachs (Sie wissen schon: Brigitte Bardot, Nacktfotos usw.) ist so ein Blickfang.

Trotzdem muss ich’s sagen: Gunter Sachs ist als „wuss“ gestorben. (Notabene: Dieses Wort spricht sich fast wie im Deutschen aus, nur mit einem englischen „Dabbelju“anstatt eines stimmhaften deutschen „W“ im Anlaut). Und zwar, weil er sich erschossen hat, was die Abendzeitung als „seinen dramatischen Selbstmord“ bezeichnete.

Der Grund für diesen Akt der Verzweifelung? Er stellte „durch die Lektüre einschlägiger Publikationen“ fest, dass er „an der ausweglosen Krankheit A.“ leide.  Sein logisches Denken sei noch in Ordnung, konstatierte er. Was ihn aber beunruhige, sei seine wachsende Vergesslichkeit und die Verschlechterung seines Gedächtnisses. „Diese führt schon jetzt zu gelegentlichen Verzögerungen in Konversationen.“

„Der Verlust der geistigen Kontrolle“ sei für ihn „ein würdeloser Zustand“. Peng! und weg.

Schade, dass er sich nicht erst mit mir über dieses Thema unterhalten hat. Ich hätte ihm gesagt: „Gunter, du machst einen Fehler. Viele Leute sind vergesslich oder kommen mit ihren Sätzen nicht weiter, weil sie das Wort nicht finden, wonach sie verzweifelt suchen. Ich zum Beispiel. Und das seit Jahren und zwar in zwei Sprachen.“

Und dann hätte ich ihm gesagt: „Tut mir leid, altes Haus, aber meiner Meinung nach bist du ein ‚wuss’ geworden.“

„Ein ‚wuss’, lieber Sprachbloggeur?“ Vielleicht hätte er das Wort mit deutschem Akzent ausgesprochen. Dann wäre sein „Dabbelju“ zu einem „W“ geworden.

„Jawohl, ein ‚wuss’.“

„Und was ist, bitte schön, ein ‚wuss’?“

„Eine neuenglische Vokabel, lieber Gunter, die in etwa ‚Memme’ bedeutet.“ „Vielleicht möchtest du mir als Sprachbloggeur Nähleres über das Wort sagen.“

„Gerne. Es ist mit ‚pussy’ verwandt.“

„Dieses Wort kenne ich als alter Lebemann und vormaliger Playboy natürlich sehr gut. Es bedeutet zwar ‚Kätzchen’ ist aber die Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil – ähnlich dem französischen ‚chatte’. Habe ich recht?“

„Volltreffer! Manches vergisst man also doch nicht, siehst du. Nur: ‚pussy’ hat eine dritte, politisch sehr unkorrekte – genauer gesagt, eine ausgesprochen sexistische – Bedeutung. Man bezeichnet damit einen verweiblichten, nicht unbedingt homosexuellen Mann, einen Mann, der keinen Widerstand leistet. Eine besonders fiese Form des Wortes ist ‚pussy-wussy`. Der ‚wuss’ wird also vom ‚wussy’ in ‚pussy-wussy’ abgeleitet. Nun habe ich dir alles über den ‚wuss’ erklärt, damit du den Begriff besser verstehst.“

„Nur eins verstehe ich nicht: Warum hältst du mich für einen ‚wuss’?“

An dieser Stelle, liebe Leser, werde ich den Dialog abbrechen. Gunter hätte die Antwort ohnehin nicht verstanden – und nicht wegen der heimtückischen Krankheit. Wie erklärt man einem, der ein Luxusleben geführt und nun Angst hat, die Kontrolle zu verlieren, dass fast nur reiche Leute Teile ihres Daseins unter „Kontrolle“ haben – und auch dann nur äußerst selten. Ein Glückspilz warst du, Gunter. Naja fast. Und wie erklärt man einem, dass die Entscheidung, sich umzubringen, fast wie die nüchterne Entscheidung klingt, Behinderte – also „unwertes Leben“ – eliminieren zu lassen? Denn so denken manche Leute wirklich.

Tut mir leid, wenn mir hier keine anderen Worte einfallen. Die obigen kommen mir nämlich viel zu polemisch vor. Vielleicht fallen mir mal andere, ja mildere ein. Ich habe schon gesagt: Mein Kampf mit den Worten war mit Sicherheit schon immer ärger als alles, was der begnadete Lebemann a.D. zu beklagen hatte.

Add new comment

Filtered HTML

  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Allowed HTML tags: <a> <p> <span> <div> <h1> <h2> <h3> <h4> <h5> <h6> <img> <map> <area> <hr> <br> <br /> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd> <table> <tr> <td> <em> <b> <u> <i> <strong> <font> <del> <ins> <sub> <sup> <quote> <blockquote> <pre> <address> <code> <cite> <embed> <object> <param> <strike> <caption>

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Lines and paragraphs break automatically.
CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.