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Vornehm geht die Welt zugrunde

Sind Sie ein "wegen dem“ oder ein "wegen des“ Mensch? Vorsicht, Fangfrage! Ihre Antwort könnte Wichtiges über Sie verraten. Ich persönlich bin beides. Beim Schreiben ziehe ich "wegen“ mit dem Genitiv vor; wenn ich mich unterhalte, neige ich eher zum "wegen“ mit Dativ. Genauer gesagt: Ich unterscheide ziemlich genau zwischen Schrift- und Umgangssprache.

Kollege "Dr. Bopp“ (siehe rechts unter "Freunde“) betrachtet die Sache etwas entspannter als ich. Er hält den Dativ auch in einem formellen Text für zulässig, solange der Autor aus Süddeutschland, Österreich oder der Schweiz stammt. Ich glaube übrigens, dass er mit dieser Sicht der Dinge recht hat. Denn er geht ganz klar vom Istzustand des Schreibenden aus. Er kuscht also nicht vor allzu sturen Regeln aus der Schulgrammatik.

Regionale Unterschiede spielen in der Gestaltung der deutschen Sprache eine größere Rolle als man vielleicht denkt. Dafür ist der Gebrauch des Präteritums („ich sah“) und des Perfekts ("ich habe gesehen“) ebenfalls ein gutes Beispiel. Viele deutsche Muttersprachler bringen diese zwei Zeiten unentwegt durcheinander, was mich nicht verwundert: Im Süden hat das Perfekt das Präteritum so gut wie verdrängt. Man kann die zwei Zeiten also nicht mehr genau unterscheiden.

Gleiche Sprachverwirrung gilt für "ich habe/bin gestanden/gelegen/gesessen“. Auch hier bittet der feinfühlige Dr. Bopp um Toleranz: "Haben“ sei norddeutscher, "sein“ süddeutscher Usus.

Soweit so gut. Nur: Manche Sprecher sind aus diversen schicksalhaften Gründen nicht auf regionale Unterschiede fixiert. Sie genießen also kein Geburtsrecht, um, z.B., in einem formellen Text "wegen dem“ usw. einzusetzen. So einer bin natürlich ich – in meinem Fall, weil Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Ich fühle mich also genötigt, stur zwischen Schrift- und Umgangssprache zu unterscheiden, um nicht negativ aufzufallen.

Diese Zweiteilung erinnert mich an die Tischmanieren, die mir als Kind beigebracht wurden. Zuhause schmatzte jeder, wir breiteten Ellenbogen auf den Tisch aus, redeten leidenschaftlich mit vollem Mund, leckten genüsslich unsere saftigen Teller ab und schlürften gierig die Suppe. Im Restaurant hingegen wirkten wir wie verwandelt. Wir traten wie die Familie Knigge auf Ausflug in Erscheinung. Es war ein Unterschied so krass wie der zwischen Schrift- und Umgangssprache.

Nur einmal fiel ich im Restaurant aus der Reihe. Ich zerrte an einer Hummerschere, um sie vom Leib des Krustentiers zu trennen, damit ich leichter ans Hummerfleisch gelangte. Aber dann geschah es. Die Schere flutschte durch meine Finger und flog in hohem Bogen durch den gut besuchten Saal. Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich legte meine Serviette ab, stand auf, schritt leichtfüßig durch den Raum, las das entwichene Meeresfrüchtenglied vom Boden auf, kehrte mit ihm zum Tisch zurück, legte es auf meinen Teller und wandte mich nun wieder selig dem Schnabulieren zu. Es stellte sich heraus: Kein Mensch hat sich für diese kleine Indiskretion interessiert.

Moral der Geschichte – so glaube ich jedenfalls: Auch wenn man in gewissen Situationen auf die Form achten muss, geht die Welt letztendlich wegen einem kleinen Formfehler nicht unter. Im Gegenteil. Alles schmeckt hinterher viel leckerer.

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