Stellen Sie sich vor: Auch in siebenhundert Jahren wird einer in den alten Chroniken über den diesjährigen Eklat am Nockherberg noch lesen können. Und er wird erfahren, dass das „Derblecken“ im Jahr 2010 n.Chr. ein Rohrkrepierer war.
Schad is, sog i. Vor allem, weil ich schon immer ein Herz fürs „Derblecken“ (auf Bayerisch: a Harz fir s’Derblecken) hatte. Ja, das „Derblecken“. Eigentlich bedeutet diese Vokabel „Zähne zeigen“ oder „grinsen“, von daher „verhöhnen“.
Es handelt sich aber um eine urdemokratische Einrichtung im Bayerland und erinnert (zumindest mich) an die aristophanische Komödie im 5. v.Chr. Jahrhundert in Athen. In den damaligen Theaterstücken wurde auch im wahrsten Sinne derbleckt.
Dass man Gelegenheit hat, die – wie man so schön sagt – „Prominenz“ oder die Obrigkeit durch den Kakao zu ziehen, war schon immer ein Zeichen von hoher Zivilisation und auch – dies muss ich fairerweise sagen – Zivilcourage seitens der Obrigkeit.
Ober sakradi. Dann kimmt dieser saudamische Bruder Barnabas daher und wirbelt mit sei`m derben Humor ois umanand. A Schand, sog i, a Schand.
Wissen Sie wovon ich rede? Oder handelt es sich hier lediglich um eine bayerische Scheinkrise? Immerhin hat die FAZ darüber berichtet, wenn auch nur sehr bescheiden – dafür aber seitenlang über die krummen Geschäfte in Griechenland.
Oiso. Bruder Barnabas – in Zivil Schauspieler Michael Lerchenberg – hat sich am Nockherberg folgende Gemeinheit erlaubt. Es ging um Vizekanzler Westerwelles nie enden wollende Angriffe gegen Hartz-IV-Empfänger. Ich zitiere: „Alle Hartz-IV-Empfänger sammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Stacheldrahtzaun – hamma scho moi g’habt. Zweimal am Tag gibt’s a Wassersuppn und einen Kanten Brot. Statt Heizkostenzuschuss gibt’s zwei Pullover von Sarrazins Winterhilfswerk, und überm Eingang, bewacht von jungliberalen Ichlingen in Gelbhemd steht in eisernen Lettern: ‚Leistung muss sich wieder lohnen’.“
Todesstille am Nockherberg. „Dumm“, kritisiert Münchener OB Ude, „Jeder Vergleich mit dem Terrorregime läuft auf eine Verharmlosung hinaus.“ Charlotte Knobloch, Vorsitzende des Zentralrats der Juden meint, eine Grenze, „die nicht hinnehmbar ist“, sei überschritten worden. „Guter Stil sieht anders aus“, schreibt Katharina Rieger in der Abendzeitung, „Die Paulaner-Brauerei muss Konsequenzen daraus ziehen…“ usw. Westerwelle selbst verkündet, er wolle nie wieder zum Derblecken eingeladen werden.
Jawui! Starker Tobak war dös scho. Das gebe ich zu. Nur: Wenn ich ganz ehrlich bin, fand ich es trotzdem wahnsinnig witzig – auch wenn es ziemlich unter der Gürtellinie traf. Muss ich mich dafür schämen? Nein. Eine Verharmlosung der Nazis? Auch nein. Nur derb und so überspitzt wie auch einst Aristophanes war.
Aber zurück in die Wirklichkeit: Inzwischen hat sich Schauspieler Lerchenberg reumütig entschuldigt und ist als Bruder Barnabas zurückgetreten, bzw., zurückgetreten worden. Die genauen Details interessieren mich nicht.
Doch, worum geht es hier überhaupt? Der eine, also Lerchenberg, muss gehen, weil er einen bösen Witz von der Eingrenzung gewisser Menschen, also Hartz IV-Empfänger, erzählt. Der andere, also Westerwelle, ist empört, weil seine Rhetorik über die Ausgrenzung von gewissen Menschen, also Hartz-IV-Empfängern, gnadenlos durch den Kakao gezogen wird.
Nun wissen Sie, wie eine komplizierte Angelegenheit in allen Einzelheiten aussieht.
Das Endergebnis: Lerchenberg verliert, weil er den eigenen Humor nicht ernst genug genommen hat. Westerwelle verliert, weil der nicht in der Lage ist, über sich selbst zu lachen.
Dös mit dem Humor war no’ nie jedem sei Gschmack.
Wer eines Tages in den alten Chroniken über dieses Ereignis liest, wird sicherlich nur kopfschuttelnd sagen, „Ja, aber ich verstehe den Witz nicht.“
Add new comment