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Fibel für Übersetzer: Teil eins

Vor vielen Jahren habe ich eine kurze Glosse über deutsche Abschiedsgrüße geschrieben.

Der Anlass für meine damaligen Gedanken waren die vielen Filme, die ich im Fernsehen gesehen hatte, wo Kinder mit freundlichen hohen Stimmen (notabene) vertrauten Menschen "auf Wiedersehen!“ zuriefen.

Dieses "auf Wiedersehen!“ irritierte mich. Denn meiner Erfahrung nach, trillerten deutsche Kinder "tschü-ü-ss!“ oder, falls sie bayrisch sprachen, "ser-vus!“, wenn sie sich verabschiedeten.

Mich mutete das kindliche "auf Wiedersehen!“ zu formell, zu erwachsen an, um als glaubwürdiger Abschiedsgruß zu dienen. Vielleicht kam es mir so vor, weil das lockere englische "bye“ oder "bye bye“ der Kinder (und Erwachsenen) in meinen Ohren noch immer nachhallte.

Weiter: Die Filme, über die ich hier rede, waren zumeist "made in USA“ und ins Deutsche synchronisiert. Das heißt: Ein amerikanisches "bye“ war in ein "auf Wiedersehen“ verwandelt worden.

Ich glaube, dass ich in meiner damaligen Glosse den kühnen Vorschlag gemacht habe, das filmische "auf Wiedersehen“ der Kinder (und auch wohl der Erwachsenen) in ein "tschüss“ zu verändern.

Die Glosse erschien aber nie. Als ich mich einmal erkundete, warum der Text gekippt worden war, antwortete der zuständige Redakteur mit freundlicher Geduld: "Sie verstehen unser 'auf Wiedersehen’ nicht ganz, Herr Blumenthal. Sie müssen es erst verinnerlichen, bevor Sie darüber schreiben.“ Jawohl. Das Schreiben ist manchmal ein hartes, stilles Geschäft.

Inzwischen weiß ich, warum Filmkinder (und Erwachsene) "auf Wiedersehen!“ rufen, auch wenn dieser Usus vom täglichen Sprachgebrauch oft erheblich abweicht. Es geht um die Regionalität der deutschen Sprache. Im Norden, zum Beispiel, würde ein freundliches "servus“ in einem sonst regionsneutralen Filmstreifen richtig anecken – wie das Kratzen der Fingernägel auf einer Schiefertafel. Nur im "Musikantenstadl“ erträgt der Norddeutsche "servus“ und Co. In Bayern wäre hingegen das preißische "tschüss“ in einem sonst hochdeutsch gedrehten Film ebenfalls unerträglich. "Auf Wiedersehen“ dient also als Kompromisslösung, damit es nie zu Stammeskriegen kommt.

Die richtige Abschiedsfloskel zu wählen, ist im Deutschen eine wahre Wissenschaft. Wer sich nicht auskennt, tritt schnell ins Fettnäpchen. Das bayrische "pfüati“ (Mehrzahl "pfüat eich“) wird üblicherweise nur unter Heimatlern verwendet. Einem Preiß sagt man "Pfüati“ äußerst selten, es sei denn, man möchte dem Saupreißn eine Ehre erweisen. Und wehe, wenn der Zugeroasta von alloa "Pfüati“ sagt. Er macht sich fei lächerlich. "Servus“ ist freilich ein anderer Fall. Native speaker und Zugeroasta dürfen es beide gebrauchen. Es ist ohnehin ein Fremdwort. Was "tschüss“ betrifft: Würde sich ein Bayer von einem Stammesgenossen mit dieser Vokabel verabschieden, klänge es im Ohr des Hörers wie das Zischen eines Giftpfeils. Wennst oba mit am Zugeroasten redst, derfst eahm scho "tschüss“ sogn. Auf der Metasprache-Ebene bedeutet dieses "tschüss aber: "Bist a Saupreiß, wennst aa a netta bist. I sog di 'tschüss’, weil i mecht mit di koa Bayrisch ned redn.“

Aber jetzt ein Sprung nach Norden ins Heimatland des "tschüss“, das übrigens ursprünglich von "adieu“ abgeleitet wurde. Wenn ich, zum Beispiel, mit Hamburg geschäftlich telefoniere, wird das Gespräch – auch mit einem Fremden – fast immer mit einem freundlichen "tschüss!“ beendet. Lange habe ich dieses "tschüss“ als eine Lockerheit verstanden. Ist es aber nicht. Es ist vielmehr eine Vokabel, die Freundlichkeit und Höflichkeit in einem ausdrückt.

Gibt es also keine wertneutrale Ausweichfloskel im Deutschen, die das ganze empfindliche Theater der Regionalität umgeht? (Nebenbei: Das Thema des Abschiednehmens nach Regionen habe ich sicherlich lange nicht erschöpft). Wie wäre es etwa mit "ciao“ oder "ade“? Nee. Zumindest nicht im Kinderwortschatz, wohl eher als Abschiedsformel für Erwachsene.

Warum erzähle ich Ihnen alldies? Stellen Sie sich vor, sie wären ein Übersetzer. "Bye!“ ins Deutsch feinfühlig zu übertragen, erfordert Geduld und starke Nerven. Ende der ersten Lektion.

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