Warnung: Es folgt eine Sexgeschichte. Falls Sie daran Anstoß nehmen könnten, lesen Sie bitte nicht weiter.
Es geht los: Ein junger Mann, Sohn eines Grammatiklehrers, lernt ein bildhübsches Mädchen kennen und verliebt sich auf der Stelle. Auch seiner Familie soll seine neue Flamme vorgestellt werden.
Endlich kommt der große Abend. Der junge Mann betritt mit seiner Angebeteten das Elternhaus, beide strahlen wie Himmelskörper.
„Das ist also dein neues Mädchen“, sagt der Vater.
„Ja“, antwortet der Sohn. „Und wie heißt es?“
Stopp. Der Autor kann leider nicht weiter, und das Mädchen wahrscheinlich ebensowenig. „Wie heißt es?!“ Streng genommen, hat der Vater recht, wenn er „das Mädchen“ als ein „es“ bezeichnet. Immerhin haben wir es hier mit einem berufsmäßigen Grammatiker zu tun, und das „es“ bezieht sich korrekterweise auf das neutrale „Mädchen“.
Natürlich habe ich hier die Sache etwas überspitzt dargestellt. Schon im Grimm’schen Wörterbuch wird unter Schlagwort „Mädchen“ darauf hingewiesen, dass man (oder frau) bei diesem Wort auf das natürliche Genus zurückgreifen darf. Trotzdem bleibt das „Mädchen“ für die Lektoren schon eine knifflige Angelegenheit – auch in den aktuellen Zeitungsberichten ist dies so.
Ich erzähle obige Geschichte aus zwei Gründen: 1.) um Sie vermittels des Wortes „Sex“ zum Weiterlesen zu animieren und 2.) weil ich eine kurze Polemik zum Thema Genus in der Schweizer „Weltwoche“ (Nr. 12/09) kommentieren möchte. Der Autor Thomas Meyer, ein Werbefachmann, beklagt sich über den Einfluss des Feminismus auf die deutsche Sprache. Insbesondere stören ihn geschlechtsneutrale Neologismen wie „StudentInnen“, wo früher „Studenten“ gereicht hätte, um beide Geschlechter zu kennzeichnen. Ich erzähle Ihnen nichts Neues. Um das sperrige „StudentInnen“ zu umgehen, sei man in der Schweiz allerdings zu „Studierende“ übergegangen. Meyer findet auch diese Formulierung eine Zumutung und macht etliche Witze über „Zuhaltende“, „Mädchenbeschneidende“ usw.
Nebenbei: Mein Sohn hat mir soeben bestätigt, dass sich „Studierende“ auch in der hiesigen Uni längst eingebürgert hat.
Meine Frau, eine gelernte theoretische Sprachwissenschaftlerin, hat mir die Sache mittlerweile erklärt: Es gebe in jeder Sprache „markierte“ und „unmarkierte“ Bezüge. Wenn sich „Studenten“, „Leser“, „Freunde“ auf beide Geschlechter beziehen, dann gelte im Deutschen das Maskulinum als „markiert“ und das Femininum als „unmarkiert“. Das markierte Maskulinum habe im Deutschen eine lange Tradition, wohl als Erbe einer einstigen patriarchalischen Gesellschaftsform unter den Germanen.
So weit so gut. Zu bemerken aber: In manchen Sprachen können auch weibliche Formen markiert sein. Wie wäre sonst zu erklären, dass im Lateinischen manche sehr burschikose Berufe, etwa „nauta“ (der Matrose) und „agricola“ (der Bauer) eine weibliche Form haben? Auch der Dichter, „poeta“, ist weiblich, egal ob es sich um einen Dichter oder eine Dichterin handelt. Im Altgriechischen gibt es eine eigene Kategorie für männliche Nomen, die weiblich gebeugt werden.
Im heutigen Deutsch ist man (oder frau) mit Gewalt dabei, eine neue, geschlechtsneutrale Markierung zu erzwingen. Auch im Englischen ist dieses Phänomen zu beobachten. Der „postman“ (Briefträger) ist nunmehr zum neutralen „letter carrier“ geworden. Der „chairman“ (Vorsitzende) hat sich zu einem „chair“ verwandelt. Anstatt „Mankind“ (die Menschheit) zu rühmen, preist man zusehends „humankind“ usw.
Mein Ohr rebelliert, auch wenn ich kein dogmatischer Sprachpurist bin und manchmal ganz bewusst auf „er“ und „sie“ hinweisen will. Mir ist aber klar: Letztendlich muss man sich, was die Sprache betrifft, stets der Mehrheit anschließen. Wer kann, die kann.
PS: Leserin Kristin - siehe Kommentar "Verwechs- & Meinung" hat mich aufgeklärt: Ich habe die Begriffe "markiert" und "unmarkiert" vertauscht.
PPS: Lesen Sie Kristins Blog. Siehe Link.
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