Gestern habe ich das Wort „bewandern“ erfunden. Ich finde es schön und möchte einen Antrag stellen, diese Vokabel offiziell in die deutsche Sprache aufzunehmen…wenn ich nur wüsste, an wen ich mich wenden sollte.
Was heißt „bewandern“? Ich meine, die Bedeutung müßte eigentlich offensichtlich sein. Doch falls nicht, folgende Erläuterungen: Zunächst, es ist ein Transitivum, d.h., ein Verb, das ein Akkusativobjekt benötigt. Man kann also Felder und Wiesen „bewandern“. Ebenso können Hände mit sinnlicher Wanderlust Gegenstände und andere Lebewesen forschend „bewandern“. Schönes Wort, nicht wahr?
Manche von Ihnen schauen aber immer skeptischer drein, vermute ich, während Sie diesen meinen Vortrag lesen. Sie denken: „Was geht hier vor? Ich kenne das Wort schon, also keine Erfindung des Sprachbloggeurs.“
Recht und Unrecht haben Sie zugleich. Im Duden sucht man vergebens nach einem Verb „bewandern“. Lediglich findet man „bewandert“ im Sinne von „erfahren“ oder „gut Bescheid wissend“. Etwa: „Sei vorsichtig, er ist in den schwarzen Künsten bewandert.“
Selbst habe ich mehrere Nachschlagwerke abgesucht und nirgends das Wort „bewandern“ gefunden. Als typischer postmoderner Mensch des Informationszeitalters habe ich den Begriff schließlich gegoogelt. Und siehe: In nur 0,29 Sekunden erhielt ich 17.800 Hinweise, wo „bewandern“ zu finden wäre. In Wirklichkeit waren es nur 768 – typische Google-Inflation. Immerhin: 768 Menschen haben das Wort „bewandern“ erfunden genauso wie ich, obwohl es im Wörterbuch nicht steht.
Diese Entdeckung brachte mich auf den Gedanken: Eigentlich ist Sprache nicht mehr als Konvention, sprich „Übereinstimmung. In den Zeiten, bevor man Wörterbücher kannte, galten Wörter als Wörter, einfach weil sie in Übereinstimmung angewendet wurden. Man forschte nicht in Wörterbüchern nach ihnen, um ihre Existenz zu bestätigen.
Was ist ein Wort überhaupt? Es ist wie ein Vertrag. Sobald beide Parteien einverstanden sind, existiert es. Anders gesagt: Sobald zwei oder noch mehr Sprecher bereit sind, eine Lautfolge als sinnvermittelnde Einheit anzuerkennen, zack, diese Lautfolge zählt zu dem allgemeinen Wortschatz.
Ich bin aber froh, dass auch Muttersprachler bereits vor mir „bewandern“ erfunden haben. Wissen Sie warum? Wenn ein Nichtmuttersprachler kreativ mit der Adoptivsprache umgeht, wird seine Kreativität als Unkenntnis gedeutet. Sagt meine Frau immer, wenn sie versucht Wortspiele auf Englisch zu machen, und ich höre nur Unkorrektes.
Wenn man eine Sprache als Ausländer wirklich beeinflüssen will, dann muss man so tun, wie einst die Normannen, als sie England 1066 unter Herzog Wilhelm eroberten. Um sich mit den Einheimischen zu verständigen sprachen die Normannen ein Kauderwelsch, das halb Französisch, halb Angelsächsisch war. Bald wusste niemand mehr, weder Normannen noch Angelsachsen, was Sache war. Aus diesem Mischmasch entstand meine Muttersprache. In ihr bin ich übrigens sehr bewandert.
Add new comment