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"Du, Bob, du bist entlassen"

Seien Sie froh, dass Sie im Lande des Siezens und des Duzens beheimatet sind.

Vor etwa 15 Jahren las ich während eines Flugs in die USA in der FAZ ein Plädoyer für eine neue Informalität im deutschen Büro. Dem Sinne nach ging es um einen Vergleich zwischen dem lockeren Umgang im amerikanischen Büro, wo jeder jeden mit Vornamen anspreche, was zu mehr Kreativität führe, und dem verstaubten deutschen hierarchischen Denken.

Ich gebe zu: Ich war damals von diesem vermeintlichen kulturellen Unterschied überzeugt und glaubte, man könnte hierzulande wirklich von dieser erfrischenden Lässigkeit profitieren.

Kurz nachdem ich diesen Text gelesen hatte, brach allerding das neue Zeitalter des "shareholder value“, des "leaner and meaner“ (dem Sinne nach: "Arbeitsplätze einsparen, um agressiver aufzutreten“) und des "downsizing“ ("Abspecken“) an. Im entspannt kreativen amerikanischen Büro vernahm man immer häufiger die Worte: "Du, Bob, du bist gefeuert.“ Soviel zum „lockeren Umgang“ im amerikanischen Büro.

So dachte ich jedenfalls, bis ich vor ein paar Tagen zur Kenntnis nahm, dass das Duzen bei IKEA seit einiger Zeit vertraglich vorgeschrieben sei. Nicht nur bei IKEA duze man sich, so erfuhr ich nun in einem Artikel vom Kollegen Axel Rühle in der "Süddeutschen Zeitung“, eine ähnliche Sitte gelte bei der "Teambank“ in Nürnberg. Gleiches sei auch bei H&M mittlerweile gang und gäbe, schreibt hierzu Matthew Saltmarsh, in der "International Herald Tribune“. Ist dies nur die Spitze des Eisbergs?

Wohl nicht. Die Sprachwissenschaftlerin Eva Havu der Helsinki Universität konstatiert vielmehr das Gegenteil in den Ländern des Duzens und Siezens: ein wachsendes Unbehagen nämlich bezüglich dieser vorgeschriebenen Informalität. Sie hat Betroffene interviewt und konnte feststellen, dass man wohl doch lieber zwischen "du“ und "Sie“ unterscheidet. Dies treffe, sagt sie, nicht nur für ältere Mitarbeiter zu, sondern ebenso für die 20-40jährigen. Die bisherige Duzfreudigkeit bzw. das "tutoyer“ in Frankreich seien ohnehin ein Überbleibsel des Idealismus der 68er Generation. Auch der entspanntere Umgang der angelsächsischen Kultur habe hier wohl eine Rolle gespielt.

Ich persönlich glaube nicht, dass es diesen "lockeren Umgang“ in der angelsächsischen Kultur jemals gegeben hat. Im Gegenteil: Ich halte den menschlichen Umgang – zumindest in den USA – für viel formeller und hierarchischer als in Europa. Ein paar Beispiele aus meinem vierjährigen Aufenthalt (1994-1998) in den USA: Ärzte sprechen einen meistens mit Vornamen an, erwarten aber, dass sie als "Doctor soundso“ angeredet werden. Während einer Fahrprüfung stellte sich die zuständige Beamtin als "Officer soundso“ vor, sprach die zu Prüfende (meine Frau) hingegen mit Vornamen an. In ein und dem selben Satz kann man in einer geschäftlichen Situation mit Vornamen und dann plötzlich mit "sir“ oder "madam“ adressiert werden. Was wie ein lockerer Umgang aussieht, ist oft wohl wohl keiner. Es fordert wahrlich "native speaker“-Fähigkeiten, will man wissen, ob man im Englischen gerade "geduzt“ oder "gesiezt“ wurde.

Nicht dass die Kunst des Duzens und des Siezens einfacher ist, aber sie wirkt allemal logischer als "Bob, du bist entlassen“.

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