"Nun bin ich aber auch ziemlich durch den Wind“, schrieb Ernst Theo, nachdem ich ihm ein Beispiel aus dem Duden zugeschickt hatte, das "laut“ plus Konjunktiv enthalten hat (siehe "Der Sprachbloggeur“ 4. Mai über die "indirekte Rede“). Mit dieser Redewendung, "durch den Wind sein“, wollte er wohl die Idee einer Überraschung, um nicht zu sagen eines gedanklichen Durcheinanders, vermitteln.
Diesem Idiom, "durch den Wind sein“, bin ich in letzter Zeit recht häufig begegnet. Komischerweise kann ich mich nicht entsinnen, dass ich es früher wahrgenommen hätte. Schon wieder ein altgediegener Bestandteil der deutschen Sprache, der meiner bisherigen Aufmerksamkeit ausgewichen ist? Hatte ich noch ein fehlendes Stück des Puzzlespiels namens "deutsche Sprache“ ausgegraben? Wohl kaum. Unter Schlagwort "durch den Wind“ fand ich in Google in aller Schnelle zwar 252.000 Treffer, musste aber nach einer SEHR oberflächlichen Untersuchung der gebotenen Materie gleich feststellen, dass der früheste Hinweis auf diese Redewendung aus dem Jahr 2004 stammte.
Nun schaute ich in Küppers "Wörterbuch der deutschen Umgangssprache“. Er kennt über 50 Redewendungen mit der Vokabel "Wind“. „Durch den Wind“ zählt aber nicht zu ihnen. Nota bene: Meine "Küppers“-Ausgabe stammt aus dem Jahr 1987. Auch Röhrichs "Sprichwörtliche Redensarten“ weiß nichts von "durch den Wind sein“. Der Duden "Redewendungen und sprichwörtliche Redenarten“ schweigt ebenfalls zum Thema.
Wieso denn ist jeder plötzlich so völlig durch den Wind? Meine Theorie: Wir haben es mit einer nagelneuen Redewendung zu tun, die erst in letzter Zeit langsam aber sicher durch die Sprachgemeinschaft…tja…wie der Wind gefegt ist. Im März hatte ich über das Wort "popping“ (Siehe "Vom ‚Poppen’ und vom ‚popping’) berichtet. Darin erzählte ich, dass mein Freund Edward in den 70er Jahren dieses Wort mit der Bedeutung "cool“ oder "tight“ erfunden hatte und versuchte es ganz bewusst als Modewort in die Welt zu katapultieren – ohne Erfolg allerdings. Wohl steckt kein Edward hinter dem Idiom"durch den Wind sein“. Ich stelle mir aber vor, dass ein(e) namenlose(r) Held(in) der lebendigen Sprache vor wenigen Jahren diesen Ausdruck eines Tages – einfach so – in einem Satz verwendete, und siehe da, er war nach kurzer Zeit in allem Munde. Eine Art Kettenreaktion, sozusagen.
Wann diese Kettenreaktion startete, wage ich nicht zu sagen. Es kann nicht zu lange her gewesen sein. Außerdem habe ich eine Vermutung, woher der Ausdruck hätte stammen können. Ich habe nämlich entdeckt, dass die Phrase "durch den Wind“ in der Seglersprache häufig vorkommt. Bei den Seglern handelt es sich freilich nicht um eine Redewendung, sondern um den Umgang mit einer Wetterlage, die jeder beherrscht, der jemals „durch den Wind“ gesegelt ist. Die Erfahrung, buchstäblich "durch den Wind“ zu sein, kann einen wohl ziemlich durchschütteln, nehme ich als Nichtfachmann an.
Die Segler kennen ein Wendemanöver – dies habe ich in einem Segellexikon bei ndr.de entdeckt – das sie das "Halsen“ nennen. Gemeint ist Folgendes: Das Boot ändert die Richtung, "indem es mit dem Heck durch den Wind läuft“.
Haben die Segler die Sprache um diese neue Redewendung ein bisschen reicher gemacht? Ich weiß es freilich nicht hundertprozentig, möchte es aber gerne glauben. Wer selbst nicht zu sehr "durch den Wind“ ist, was dieses Thema betrifft, der möchte sich bitteschön melden, um für endgültige Klarheit zu sorgen.
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