Heute geht es um das Neudeutsch. Allein das Wort klingt neu. Wie Sie wissen, werden neudeutsche Wörter des öfteren zum Thema dieses Blogs. Zum Beispiel, "iPod“, "pimpen“, "podcasten“, "trollen“ und dergleichen. Aber wie neu ist das Wort "Neudeutsch“ selbst?
Es ist alt.
Denn neulich stieß ich auf eine Sprachglosse von Kurt Tucholsky mit dem Titel "Neudeutsch“. (Wem der Name Tucholsky nicht geläufig ist, hier das Wesentlichste: geboren 1890, gestorben 1935). Wenn Tucholsky heute gelebt hätte, wäre er, so bin ich überzeugt, selbst Sprachblogger geworden – gehörte also zur gleichen Zunft wie Ines Balcik (ib-Klartext.de), Anatol Stefanowitsch (www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog), "Zwiebelfisch“ und meine Wenigkeit. Da es aber damals noch kein Internet gab, veröffentlichte Tucholsky seine Glossen in einer gedruckten Zeitschrift, der "Weltbühne“. Zur gleichen Zeit war übrigens noch ein "Sprachglosser“, der Wiener Karl Kraus, Herausgeber der "Fackel“, tätig.
Aber zurück zu "Neudeutsch“. In einer Glosse aus dem Jahr 1918 machte sich Tucholsky über eben dieses Wort, "Neudeutsch“, lustig. Der Grund dafür: Ein gewisser Gustav Wustmann, Autor eines Buches, "Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen“ (Erstauflage 1896), betrachtete den Gebrauch von Wörtern, die aus Verbindungen von Adjektiven und Substantiven bestanden, als Unsitte. Ein paar Beispiele aus Wustmanns Giftschrank: "Fremdsprache“, "Neuerkrankung“, "Erstdruck“, "Höchststundenzahl“. Der schelmische Tucholsky ergänzte Wustmanns Liste mit eigenen "Unwörtern“ – keine richtigen natürlich, er wollte dem bereits verstorbenen Sprachpapsten lediglich noch ein paar Nägel in den Sarg reinhauen. Seine Beispiele: "Sauerkraut“, "Süßwasser“, "Hochverrat“ und "Vollmacht“.
Der arme Wustmann hat es aber sicherlich nicht so böse gemeint und diese Behandlung schon gar nicht verdient. Er verstand sich als aufrichtiger Verteidiger der Würde seiner Muttersprache. Vergebens. Heute ist sein Name fast nur noch Fachkreisen bekannt. Sein ehemaliger Bestseller ist kaum noch antiquarisch zu haben. Das allerschlimmste: Er wird nicht einmal bei Wikipedia aufgeführt. Vielleicht möchte jemand…?
Zugegeben: Die eifrigen Bemühungen seitens Wustmanns waren vergebliche Liebesmüh. Denn kein Experte wird je in der Lage sein, dem Lebendigen an einer Sprache durch das Maßregeln Einhalt zu gebieten. Man kann zwar in der Schule ein bisschen entgegensteuern, um ein gewisses Maß an Einheitlichkeit – zumindest in der Schriftsprache – zu erzwingen. Doch auch da bleibt der Erfolg letztendlich mäßig. Sprachblogger und sonstige Experten können nur beobachten und kommentieren, was in der wirklichen Welt passiert. Das Neudeutsch obsiegt aber fürderhin.
Add new comment