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Nur weiterlesen, wenn Sie in die Tiefe gehen wollen

Beinahe hätte ich diese Glosse heute nicht geschrieben, nicht weil ich keine Lust dazu gehabt hatte, sondern weil ich mich – nach schwerem Arbeitstag – auf dem Balkon ein bisschen in der Sonne geaalt habe und dabei fast eingeschlafen bin.

Wovon träumt ein Schriftsteller? Von Wörtern natürlich. Als ich in der warmen Sonne langsam wegdriftete, sann ich nach, wie komisch es ist, dass das deutsche "kalt“ und das Spanische "caldo“ entgegengesetzte Sinne haben. Das spanische Wort, das vom Lateinischen "calidus“ abgeleitet wird, bedeutet nämlich "heiß“.

Doch alle Träume gehen irgendwann zu Ende. In meinem Fall geschah dies, als die Sonne endlich hinter einem Nachbarhaus verschwunden war. Ich kehrte in mein Arbeitszimmer zurück, um in meinem zweibändigen Walde-Hofmann ("Lateinisches Etymologisches Wörterbuch“) unter "calidus“ nachzuschauen.

Im Nu hatte ich alles Mögliche aufgedeckt: Verwandtschaften mit den unterschiedlichsten unbekannten Wörtern aus mehreren exotischen Sprachen: Kymrisch, Sanskrit, Altirisch, Tocharisch usw. Walde-Hofmann – das sind übrigens zwei Herren, Herr Walde und Herr Hofmann – vermuten, so stellte sich heraus, dass "kalt“ und "calidus“ vor abertausend Jahren in der Tat auf eine gemeinsame Wurzel in der Bedeutung von "prickeln“ oder "stechen“ zurückzuführen sind.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob sie Recht haben. Öfters habe ich in dieser Glosse betont, dass das etymologische Denken dem Forschenden viel Fantasie abfordert. Dem seligen Walde und seinem ebenso seligen Kollegen Hofmann fehlte es ganz gewiss nicht an einer solchen Einbildungskraft.

Letztesmal habe ich mich kurz zum "Nostratischen“ geäußert, jener vermuteten Ursprache, aus der, wie manche heutige Sprachwissenschaftler meinen, alle sonstigen Sprachen dieser Welt abgeleitet werden können. Wenn Sie mich fragen, ist es aber gleichgültig, ob alle Sprachen aus einer einzigen Ursprache herkommen oder nicht.

Aus meiner Sicht bestehen Wörter – alle Wörter – aus willkürlichen Lautkombinationen. So lange sich mindestens zwei Menschen über die Bedeutung eines Wortes einig sind, kann man annehmen, dass sie auf eine gemeinsame Sprache zurückgehen. Woher diese Wörter stammen, ist ohne Belang. Damit will ich sagen: "Calidus“ und "kalt“ müssen nicht unbedingt auf ein gemeinsames "Prickeln“ oder "Stechen“ zurückgreifen. Der Gleichklang beruht ohnehin nicht selten auf Zufall. Lateinisch "habere“ und Deutsch "haben“ bedeuten das gleiche, sind abr gar nicht miteinander verwandt. Dito lateinisches "deus“ und griechisches "theos“ in der Bedeutung von "Gott“.

Zufälliger Gleichklang kann mitunter zu richtigen Peinlichkeiten führen. Dies erfuhren, zum Beispiel, einige schlaue Marketingköpfe bei "Microsoft", als sie 2006 nach einem pfiffigen Namen für einen neu entworfenen MP3-Spieler suchten, der dem "ipod“ des Konkurrenten "Apple“ die Hölle heiß machen sollte. Sie entschieden sich für den cool klingenden "Zune“ (sprich "suhn“). Hebräischsprechende haben sich sogleich den Bauch vor Lachen gehalten. In ihrer Sprache bedeutet "sijun“, "Geschlechtsverkehr“. Gleiche Erfahrung machte die Autofirma "Ford“, als sie versuchte, ihr Modell "Pinto“ in Brasilien an den Mann zu bringen. Vonwegen. Denn im Portugesischen hat dieses Wort den Sinn von "kleiner Penis“. Der "Buick Lacrosse“ entpuppte sich aus ähnlichen Gründen in Quebec als Ladenhüter. Im französischen Dialekt dieses Landes versteht man unter "lacrosse“ nämlich soviel wie "Onanie“.

Fazit: Sprache ist letztendlich ein Buch mit sieben Siegeln. Kein Mensch weiß, woher sie kommt oder wann sie zustande gekommen ist. Wir wissen lediglich, dass wir über ein weitverzweigtes Sprechvermögen verfügen und dass manche Sprachen in der Tat mit anderen verwandt zu sein scheinen. Den Rest zu verstehen, fordert, wie Herr Walde, Herr Hofmann und auch ich nur bestätigen könnten, viel Fantasie und wenig Voreingenommenheit.

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