Es geht heute wieder um die Eigennamen. Am Montag habe ich in der "International Herald Tribune“ einen Text über die Namengebung in Simbabwe – vom Kollegen Michael Wines verfasst – gelesen.
Wines berichtet von einem gewissen Godknows (zu Deutsch "Gottweiß“) Nare aus der Stadt Bulawayo im westlichen Simbabwe. Seine Eltern nannten ihn zunächst "Tlafi“, doch weil er ein sehr schwacher und kränklicher Säugling war, wusste man nicht, ob er überleben würde. Man benannte ihn also in "Godknows“ um; denn nur Gott konnte wissen, was aus ihm werden würde. Der prächtige Kerl hat’s geschafft. Heute ist er 32 Jahre alt und freiberuflicher Fotograf.
Praktische Namen wie "Godknows“ gibt es in Simbabwe zuhauf, so Wines. So zum Beispiel den des Kellners "Enough“ ("genug“). Er war das dreizehnte Kind, und seine Mutter erklärte nach seiner Geburt, es reiche jetzt mit dem Kinderkriegen.
Dann gäbe es die Geschichte von einer Frau aus dem Dorf Dopotha, nahe Bulawayo. Während ihr Mann als Söldner im Kongo tätig war, gebar sie einen Sohn. Als der Vater heimkehrte, war er fest davon überzeugt, dass der Frischling mit ihm nicht verwandt sei. Er gab dem neuen Familienmitglied den Namen "Never Trust a Woman“ ("Nie einer Frau trauen“).
Neugeborenen Menschen sinnvolle Namen zu verleihen ist kein Monopol der Simbabwer. Römische Kinder bekamen Namen wie "Secundus“, "Quintus“, "Sextus, "Septimus“ – ein Hinweis auf der Reihenfolge der Geburt innerhalb der Familie: etwa "Zweiter“, "Fünfter“ usw. Oder sie erhielten Spitznamen: "Cicero“ bedeutet "Kichererbse“ –vielleicht ein Hinweis auf eine Warze am Gesicht; "Caligula“ ist das "Stiefelchen“, so nannte die Soldaten das damals noch putzige Kind und den nachmaligen wahnsinnigen Kaiser. Puritaner in den USA tauften ihren weiblichen Nachwuchs gerne "Chastity“ ("Keuschheit“), "Hope“ ("Hoffnung“) oder "Charity“ ("Mildtätigkeit“), weil sie auf solche künftigen Tugenden hofften. 1838 nannte ein Elternpaar der Sioux-Indianer seinen neugeborenen Sohn "Cha-O-Ha“, zu Deutsch "Unter den Bäumen“, was darauf hinweisen sollte, dass er im Einklang mit der Natur lebte – oder vielleicht, dass er unter Bäumen entbunden wurde. Als tapferer, junger Krieger bekam er später einen noch passenderen Namen "Thaschuka Wilko“, d.h. "Sein Pferd ist verrückt“. Dieser Mensch mit dem verrückten Pferd führte in der berühmten Schlacht beim Little Bighorn 1876, als 1.500 Sioux-Indianer US-General George Custers Armee angriff. Noch heute rühmen ihn die Amerikaner als "Crazy Horse".
Und vergessen wir die alten Germanen nicht: Alle ihren Namen beziehen sich auf erhoffte Eigenschaften: "Alfred“, bedeutet "er rät mit den Elfen“, "Dietrich“, ist "Herrscher des Volkes“, "Friedrich“, heißt "mächtiger Beschützer“, "Rüdiger“, "der ruhmvolle Speer“.
Heute sind wir – vor allem in der westlichen Welt – von dieser Art der Namengebung weit abgekommen. Wir Menschen der westlichen Zivilisation sind schließlich die Erfinder des Mischwarengeschäfts, und seitdem tragen die meisten von uns Namen, die direkt von der Stange kommen. Maßanzüge sind bei uns also sehr selten geworden. Damit meine ich nicht, dass wir uns keine Gedanken über die Namen unserer Kinder machten, wir erfinden diese Namen aber kaum noch (mit Ausnahme der Amerikaner, die ihren Kindern Namen wie "Brooklyn“, "Paris“, "Apple“ oder "Xerox“ verpassen). Ich kannte eine Frau in München, die vor vielen Jahren ihren Sohn "Kostal“ (oder "Costal“) nennen wollte, ein Name, den sie aus einem Lieblingsroman aufgeklaubt hatte. Doch damals gab es in Deutschland eine Liste amtlich genehmigter Namen. "Kostal“ zählte nicht zu ihnen. Im Pass bekam er also einen zugelassenen Namen, privat hieß er aber fortan "Kostal“.
Ehrlich gesagt, verstehe ich den Wunsch des Kreisverwaltungsreferats, die Namengebung nicht ins Unzumutbare ausufern zu lassen. In einem Zeitalter wie dem unseren, in dem – mit Ausnahme der althergebrachten Religionen – nur wenige Traditionen lebendig geblieben sind, versucht man eben die totale Anarchie, so gut es geht, aufzuhalten. Man käme sonst vielleicht auf die Idee, das eigene Kind, mit Namen wie "Punkrock“ oder "Pumuckel“ oder "Mülltonne“ zu behaften. Und: Ich wette, einer würde irgendwann auf die Idee kommen, sein Kind "Omen“ zu nennen. Denn auch "Omen“ ist ein Nomen.
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