Heute liebe Leser, liebe Leserinnen, soll Ihnen rechtzeitig der passende Wortschatz für die kommende Weltwirtschaftskrise beigebracht werden. Vielleicht wird diese große Krise, wenn wir Glück haben, gar nicht eintreffen. Es schadet aber nicht, einige der wichtigen Begriffe auf diesem sehr verwurschtelten Gebiet, für alle Fälle ein bisschen näher kennenzulernen.
Wir leben im gefährlichen Zeitalter der "Hyperfinanz“. Dieses brandneue Wort habe ich in der dieswöchigen "Weltwoche“ in einem sehr interessanten Wirtschaftsartikel „Macht der Herde“ entdeckt, und ich halte es für eine Neuprägung der Autoren Claude Baumann und Ralph Pöhner. Übrigens: Der Titel, "Macht der Herde“, sagt schon alles über die Ursache einer Weltwirtschaftskrise.
Der allerwichtigste Begriff des neuen Zeitalters der "Hyperfinanz“ ist aber sicherlich der am wenigsten bekannte, es sei denn, man ist eingefleischter Leser der Wirtschaftsseiten der seriösen Zeitungen: "Finanzderivat“. So nennt man Geschäfte mit Sachen, die nicht unmittelbar mit der Wirklichkeit zu tun haben. Früher hätte man dazu "Luftgeschäft“ gesagt. Bekanntestes Beispiel eines "Derivats“ sind die sogenannten "futures“. Das heißt: Investoren spekulieren auf den künftigen Wert einer Sache – etwa Gold, Erdöl, Baumwolle. Notabene: Der künftiger Wert eines Dings ist nicht das Ding selbst.
Auch die Finanzkrise, die die internationalen Finanzmärkte momentan in Atem hält, wird von einem "Finanzderivat“ verursacht. In diesem Fall sind es die "Subprimehypotheken“. Deswegen ist die Rede überall von einer "Hypothekenkrise“.
Jetzt wird es kompliziert. Doch fangen wir zuerst mit einem ganz anderen Begriff an: "Prime rate“, zu Deutsch "erstklassiger Zinssatz“. Großbanken in den USA haben ihren besten Kunden schon immer einen "prima“ Zinssatz angeboten, damit sie leicht zu Geld kommen, um Investitionen zu tätigen.
In den letzten Jahren war der "prime rate“-Zinssatz in den USA besonders niedrig. Das war der Wunsch des früheren US-Bundesbankchefs Alan Greenspan. Er meinte, er könnte mit niedrigen Zinsen der "Inflation“ – sprich „Preissteigerung“ – entgegenwirken. Denn: Wenn die Bankzinsen niedrig sind, nehmen Investoren Kredite gerne auf. Damit wird die Konjunktur insgesamt angekürbelt und die Inflation niedrig gehalten. So jedenfalls die Theorie.
Aber zurück zu den "Subprime-Zinsen“. Dank niedriger Zinsen hatten viele Kreditinstitute in den USA plötzlich viel Kapital im Überfluss. Man kam nun auf den Gedanken, auch Menschen ohne viel Geld Darlehen für Immobilien anzubieten. Diese Darlehen bekam man, auch wenn man keine eigene Anzahlung leisten konnte. Nur: Diese weniger bemittelten Menschen erhielten nicht den "prima“ Zinssatz für ihre Hypothek. Sie mussten sich mit einem Zinssatz begnügen, der weniger "prima“ war, was man im Bankbetrieb einen „subprime rate“ nannte. Das Geschäft mit den "Subprimehypotheken“ florierte alsbald. Millionen von Menschen mit wenig Eigenkapital kauften sich Häuser. Soweit so gut.
Aber nun zu einer Eigenart des US-Hypothekenmarkts: Banken schnüren große Mengen von Hypothekendarlehen zu einem "Paket“ zusammen und verkaufen diese "Pakete“ an andere Investoren oder Banken. Jetzt sind wir wieder bei den "Derivaten“ angelangt. Denn diese "Pakete“ sind nichts anderes als "Derivate“ – "Luftgeschäfte“ also. Auch viele europäische Banken haben sich solche "Hypothekenpakete“ gekauft, denn man rechnete mit großen Gewinnen. Nur: Keiner wusste so richtig, ob es sich um "prime rate“- oder "subprime“-Hypotheken handelte. Keiner machte sich überhaupt Gedanken darüber. Hauptsache, die Kasse klingelt.e
Doch dann traf das Unerwartete ein: Auf einmal wurde das Erdöl sehr teuer – ebenfalls die Lebensmittel. Und siehe da: Auch die Zinsen stiegen an. Das Resultat: Viele Menschen mit "Subprime“-Hypotheken waren nicht mehr in der Lage, ihre Raten zu zahlen und gerieten bald mit den Zahlungen in Verzug . Millionen von ihnen mussten schkließlich Insolvenz anmelden.
Die Banken usw., die die millionen von "Subprime-Hypotheken“ aufgekauft hatten, standen plötzlich mit wertlosen "Derivaten“ da und mussten herbe Verluste einstecken. Alles in allem werden am Ende – weltweit – schätzungsweise 200 Billionen Euro im Sand verlaufen sein.
Ich habe diesen komplizierten Sachverhalt so einfach wie möglich dargestellt. Es gibt natürlich viel mehr darüber zu erzählen. Moral der Geschichte jedenfalls: Herdentiere gedeihen und verenden immer gemeinsam.
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