Neulich habe ich einen jungen Franzosen kennengelernt. Er besucht während ein paar Monate ein Seminar oder ähnliches an der Uni. Etwas mit Wirtschaft. Mehr kann ich dazu nicht sagen, und ich habe nicht gefragt.
Wir unterhalten uns auf Englisch. Sein Englisch ist sehr gut. Mein Französisch ist nicht schlecht. Ich bin halt aus der Übung und faul dazu.
Seine Deutschkenntnisse hingegen sind mehr als bescheiden. Schade. Er hätte bestimmt während seines Aufenthalts etwas dazu lernen können. Wenn man jung ist, hat man noch die Fähigkeit, Fremdsprachen schnell(er) zu lernen, zumal man leicht Anschluss zu anderen bekommt – hauptsächlich Altersgenossen, die meistens unvoreingenommener sind als alte, verschrobene Erwachsene und Greise. Man redet dann einfach darauf los.
Oder man hat auch Liebschaften. Ja, das kommt in jungen Jahren vor.
Dieser junge Franzose zeigte aber wenig Interesse, Deutsch zu lernen. Vielleicht ticken Wirtschaftswissenschaftler anders. Keine Ahnung. Darüber habe ich nie eine Studie gelesen – obwohl es mit Sicherheit so etwas gibt.
Wie dem auch sei. Neulich saßen wir bei einer Versammlung an einem Tisch zusammen und unterhielten uns. Mit dabei war auch ein Deutscher, etwas älter als er, der aber noch sehr jugendlich wirkt. Tu ich übrigens auch – und wenn ich Greis bin.
Im Lauf eines Gesprächs übers Deutschlernen habe ich mich plötzlich erinnert, wie es war, als ich Deutsch lernte. Ich meine nicht aus einem Buch gelernt, sondern in der Gesellschaft junger, deutscher Menschen.
Zum Beispiel Lu. Eigentlich hieß sie Luitgard. Ich lernte sie in San Francisco kennen. Der Name war mir so fremd wie der der neuen Premierministerin Thailands. Derzeit wohnte Lu bei mir. Man könnte sagen, dass wir ein kleines Techtelmechtel hatten. Aber nur kurz. Nebenbei: Sie ist längst – und leider zu früh – gestorben. Lungenkrebs glaube ich. Ja, sie hat auch geraucht - viel.
Lu verfügte über beste Englischkenntnisse, und wir haben uns deshalb meistens auf Englisch unterhalten. Wahrscheinlich hätte sie ohnehin keine Geduld gehabt, mein radebrechendes Deutsch zu ertragen. Dafür habe ich sie oft am Telefon gehört, wie sie mit ihren Freundinnen (oder waren das bloß Bekannten?, wenn man jung ist, zählen alle Leute als „Freunde“) gequatscht. Meistens sagte sie aber lediglich „Genau.“ oder „Genau, genau.“
Das Wort kannte ich nicht, und ich fragte sie nach dem Sinn. Einmal gelernt, hat man’s für immer. Ach ja. Manchmal verwendete sie am Telefon auch ein zweites Wort: „Eben“, bzw. „Eben eben.“
Bald hatte ich zwei Vokabeln, „genau“ und „eben“, verinnerlicht. Die Bedeutung ist ohnehin ziemlich das gleiche.
Aber zurück zum jungen Franzosen. Als wir zu dritt am Tisch saßen, erzählte ich ihm diese Sprachgeschichte – etwas knapper allerdings als an dieser Stelle. Ich wollte ihn eigentlich nur einschärfen, dass er nur diese zwei Wörter zu lernen hätte: „eben“ und „genau“, und jeder würde meinen, er beherrsche die deutsche Sprache perfekt.
Der Dritte von der Partie, schaute mich und den jungen Franzosen an, nickte und sagte: „Genau.“
Ich bin überzeugt, dass ich ihn an diesem Abend bestens beraten habe. Falls er jemals das Bedürfnis bzw. Notwendigkeit hat, Deutsch zu lernen, hat er längst schon die zwei wichtigsten Vokabeln intus.
Oder?
Die Antwort lautet selbstverständlich: „Genau.“
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