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Das Wichtigste übers „Ghosting“

Sie kennen den Begriff „Ghosting“? Wenn ja kann ich Ihnen wahrscheinlich nix Neues erläutern. Oder vielleicht doch. Denn dies ist nur der Anfang unseres Abenteuers mit dieser Vokabel.

Das Wichtigste vorweg – und zwar in Form eines Bekenntnisses: Bis vor ein paar Tagen war mir besagter Begriff so gut wie unbekannt. Freund O. war bei uns zu Besuch. O. ist bildender Künstler. Ich bin Schriftsteller. Wir haben im Lauf des Nachmittags Erfahrungen darüber ausgetauscht, wie manchmal eine Anfrage bei einem Verlag oder bei einem Galleristen oder Museum unbeantwortet bleibt. O. hat dieses Phänomen als „Ghosting“ beschrieben…als hätte man quasi bei den Geistern angefragt.

Sie sehen schon: der „Ghost“ und der „Geist“ sind Verwandte. Aber das wäre es.
Diese Sprachcousins sind längst getrennte Wege gegangen. Seit Jahrhunderten bedeutet das englische „ghost“ lediglich das, was man auf Deutsch „Gespenst“ nennt. Klar. Auch das dt. „Geist“ bezeichnet zuweilen ein richtiges „Gespenst“.

Nebenbei: Früher war „Gespenst“ das gängige Wort für „Trugbild“ (etwa „das Gespenst der Freiheit“). Entstanden ist es aus dem alten Verb „spanen“, das den Sinn „verlocken“ hatte. „Einspannen“ ist bestimmt damit verwandt. Allerdings: Ich fände es passender, wenn das „Gespenst „spinnen“ als Vorfahre gehabt hätte. Wer weiß? Vielleicht hab ich recht.

Doch zurück zum „ghost“. Der berühmteste „ghost“ der englischen Sprache war bestimmt der Vater von Hamlet. Zweiten Platz bekommen die Weihnachts-„Ghosts“ in der Charles Dickens Novella „Christmas Carol“. Gute Lektüre. Kann ich nur empfehlen.

Der „Geist“ hingegen ist mehr als ein „Ghost“. Zugegeben: Auch er spukt mal rum. Anders als der „Ghost“ hat er aber auch eine edle Seite. Denn er ist das Denken schlechthin. Die Gedanken einer ganzen Generation nennen wir sogar den „Zeitgeist“! Okay. Manchmal rutscht er in die „Geisteskrankheit“ hinab. Aber nur, wenn er wirklich krank wird.

Der „Geist“ will Tiefe und Verklärtes vermitteln. Er kann sogar zum „heiligen Geist“ werden – was sich übrigens auf Englisch mit „holy ghost“ wiedergeben lässt. Das ist aber antiquiertes English.

Bisher wurde der „Geist“ noch nicht gegendert. Kann aber mal in die Mode kommen. Dann wird die Rede von (der? die? das?) „Geist*In“ sein. Fair ist fair. Der Theorie des Sprachbloggeur Lesers Esperantistimo nach wird es „das Geistit“, mit Mehrzahl „die“, heißen.

Aber egal. Der dt. Geist bleibt im Vergleich zu seinem verarmten englischen Cousin immer etwas Hehres. Und deshalb bin ich der Meinung, dass eine Entsprechung zu „Ghosting“ (etwa „Geistung“) für die dt. Sprache unmöglich wäre. Der Geist strebt vielmehr nach der „Vergeisterung“, oder der „Begeisterung“ oder der „Vergeistigung“. Sogar die „Vergeistung“ wäre möglich. Doch niemals nach einer „Geistung“.

Und nun sind wir wieder beim „Ghosting“ gelandet. Schon jetzt zählt diese Vokabel in gewissen Kreisen als dt. Wort. (Sonst hätte es mir Freund O. nicht beigebracht).

„Ghosting“, wie oben gesagt, geschieht, wenn eine Anfrage – z.B. bei einem Verlag oder einem Museum oder einer Galerie ignoriert wird. Reine Unhöflichkeit also.

Es ist quasi, als hätte man ein Gespenst angefragt. Funkstille. Ein gespenstiges Gefühl für einen Künstler.

Von all dem, was ich zu diesem Thema oberflächlich gelesen habe, erfahre ich, dass dieser Begriff zum ersten Mal ca. 2015 ins sprachliche Bewusstsein auftaucht. Das gebe ich aber nicht verbindlich an. Vielleicht möchten Sie dies tiefgreifender im WehWehWeh selbst nachschlagen.

Was ich aber bisher weiß, ist Folgendes: Der Begriff bezog sich ursprünglich nicht auf die schlechten Manieren der Kunstindustrie, sondern auf den Bereich der gescheiterten Liebesbeziehungen. Will heißen: Wenn er oder sie oder es eine Beziehung beenden wollte, ohne den Mut aufzubringen, dies dem oder der Angebeteten direkt mitzuteilen, gilt dieses unerträgliche Schweigen als „ghosting“…als wäre das Gewesene praktisch nie da gewesen.
Man kennt es, dass ein/e Korbgebende mal ein SMS oder eine Email oder ein Emoji verschickt, um den Schlussstrich zu machen. Auch das ist nicht feinste Art.

Wenn jedoch nix mitgeteilt wird, wird man geghostet.

Nun wissen Sie alles über dieses gespenstige Thema, was Sie zu wissen brauchen. Mögen wir alle im Sinne des Geistes und nicht des Ghostes unser Glück in dieser Welt finden.

Comments

Das ist interessant: Zuerst in Liebesangelegenheiten verwendet, wird nun das Wort ghosting ins Berufsleben übertragen. Vielleicht zeigt das eine Verwechslung an? Oder den Wunsch, dass wir auch im Kunstbetrieb wie Liebende miteinander umgehen sollten? Das wiederum entgeistert mich, als Realist...

Mut muss man haben, liebe Rossology. Und wenn alle Striche reißen, dann holt man - ob Künstler, Schriftsteller oder entgeisterte(r) Geliebte(r) - den Geistlichen, der dann durch seine verklärte Vergeistigung bzw. Vergeistlichung die Wogen des zerrumpelten Geistes glättet. Viele Grüße PJB

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