Wir schreiben das Jahr 1581. Es ist Juli, und wir befinden uns nahe Pisa an der Mittelmeerküste, wohin wir Michel de Montaigne auf einer langen Reise begleitet haben.
Montaigne hatte im vorigen Jahr, d.h., 1580 seine heute berühmten Essays veröffentlicht. „Essay“ bedeutet auf Französisch „Versuch“ und stammt aus dem lateinischen „exagium“, das etwas wie „Erwägung“ bedeutet. Nun ist Montaigne auf Reise.
Genauer gesagt: Er nimmt auf sich die lange Strecke von seiner Kleinstadt namens Montaigne in der Nähe von Bordeaux nach Italien, wo er sich am Heilbad bei Lucca Linderung für seine schmerzhaften Nierenkoliken erhofft. Nebenbei: In seinen Essays pflegte der Leidende stets abschätzig über die Ärzte zu schwadronieren. Doch die Literatur und die Wirklichkeit sind, wie jeder weiß, zwei Paar Schuhe.
Übrigens: Dieses Tagebuch seiner Reise ist ein faszinierendes Werk. Man erfährt, wie es damals im täglichen Leben in Frankreich, Süddeutschland, in der Schweiz und in Italien ausgesehen hat. Kann ich nur empfehlen.
Aber zurück nach Pisa. Wir lassen Montaigne selbst berichten:
„Am zweiundzwanzigsten [Juli] landeten hier in der Nähe drei türkische Korsarenschiffe und entführten fünfzehn bis zwanzig Fischer und arme Schäfer als Gefangene.“
Ende des Zitats und weg waren sie. Die Piratenschiffe stachen auf nimmer wiedersehen wieder in See.
Was wollten diese Piraten von diesen italienischen Fischern und Schäfern? Ganz klar: Diese sollten im osmanischen Reich als Sklaven verkauft werden! Was sonst?
Ich weiß: Dies ist eine längst und gern vergessene Episode in der europäischen Geschichte. Doch fakt ist: Jahrhunderte lange verübten osmanische Freibeuter Menschenraubzüge in Europa. Darüber hat Mozart eine Oper komponiert: Die Entführung aus dem Serail.
Doch keine Sorge: Es waren nicht nur die Osmanen, die aus dem Menschenhandel einen profitablen Sport gemacht haben. Hier noch ein Zitat aus Montaignes Reisebericht:
„Am selben Tag [er meint hier den 14. Juli] flohen in der Nähe meines Hauses einundzwanzig türkische Sklaven aus dem Arsenal und bemächtigten sich eines voll ausgerüsteten Ruderschiffs…“
Das mit der Sklaverei schien damals eine weitverbreite Sitte zu sein. Zur gleichen Zeit waren auch arabische Freibeuter an der sog. „barbarei Küste“ Nordafrikas recht aktiv im Geschäft – und blieben so bis zum 19. Jh!
Ja so waren die Menschen damals: ob Türken, Araber, Europäer – auch übrigens Afrikaner. Trotz alledem bleibt uns am bekanntesten uns allerdings jener ominöse Handel europaseits vor allem der Handel mit Afrikanern, die in die Neue Welt als unfreiwillige Arbeitskräfte verfrachtet wurden. Vergessen Sie aber nicht: Das Wort „Sklave“ bezog sich ursprünglich auf gefangene Slawen, die von Magyaren an Byzantiner verkauft wurden.
Und auch nicht zu vergessen: Schließlich waren es Engländer, die schon Mitte des 18. Jh begannen, dieses Geschäft moralisch in Frage zu stellen, und sogar die ersten Gesetze gegen die Versklavung von Menschen verabschiedeten, was wiederum peu à peu das Ende der Sklaverei in Europa einläutete. In Nordafrika und im osmanischen Reich hat dies etwas länger gedauert, bis man diesen Handel einstellte.
Eigentlich war es ziemlich überraschend, dass auf die Sklaverei verzichtet wurde. Denn sie war seit der Antike in vielen Kulturen eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht hat man dank der industriellen Revolution keine Sklaven mehr gebraucht!?
Ende der Geschichte? Nein, eigentlich nicht. Heute, so habe ich gerade eben in den Nachrichten gehört, leben ca. 50 Millionen Erdbürger in der Sklaverei. Schlagen Sie selbst beim Vorsitzenden Google nach. Er weiß alles, und wir werden zusehends zu Sklaven seines Allwissens…
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