Als ich vor vielen Jahren mit der kalten Sophie in Deutschland ankam, taten die Eisheiligen ihrem schauerlichen Ruf keinen Abbruch. Ja es war wirklich saukalt, grau und oft regnerisch.
Damals waren mir die Eisheilgen aber kein Begriff. Ich war frisch aus Kalifornien aufgetaucht, wo der Mai wirklich ein Wonnemonat ist. Doch das Wetter in dem Sinn ist heute nicht mein Thema.
Wir fangen lieber mit zwei Wörtern an, die im heutigen Deutsch jedem Neuling – wie mir damals – angehalten wird, unterscheiden zu lernen: schwül und schwul.
Ich habe diesen Unterschied in einer gewölbten Kellerkneipe kennengelernt. Dort war ich eines Abends mit meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin und ihrer Freundin Dörte.
Meine Lebensabschnittspartnerin war gerade auf dem „Klo“ – auch das damals ein neues Wort für mich. Ich stand da mit Dörte unter einer Wölbung und schaute in die Welt hinein. Die Musik war laut und das Stimmenmeer beinahe unerträglich. Ich glaube nicht, dass man dort tanzte. Das hätte mir lärmmäßig gefehlt.
Dörte war ein liebenswerter Mensch, aber im Grunde hatten wir einander nicht viel zu sagen. Mein bescheidenes Deutsch und ihr bescheidenes Englisch hätten zwar ein Gespräch ermöglicht; dies fand aber nicht statt.
Plötzlich aber wollte ich im Gedränge doch etwas Wichtiges mitteilen: „Ich bin warm“, sagte ich.
Dörte lachte. „Nein, lieber David“ – sie sagte immer „David“ zu mir, weil sie nichts mit dem Namen „PJ“ anfangen konnte. Na ja. Auch daran musste ich mich gewöhnen – „Nein, lieber David. Du willst eigentlich ‚mir ist warm‘ sagen. ‚Ich bin warm‘ hat eine andere Bedeutung, nämlich dass du schwul bist.“
Dieses Wort „schwul“ kannte ich bereits. Meine Lebensabschnittspartnerin arbeitete im Filmgeschäft. Insofern hatte ich keine Schwierigkeiten Dörtes Satz zu verstehen.
Und nun folgte die zweite Belehrung. „Und noch dazu, lieber David. Achte darauf, dass du niemals ‚schwul‘ und ‚schwül‘ durcheinanderbringst. Damit wirst du dir diverse auftretende Peinlichkeiten ersparen.“
Ja. Es war wirklich eine Sprachlektion fürs Leben. Und bis heute denke ich an Dörte, wenn ich diese zwei Wörter – und ebenso das mit „warm“ in den Mund nehme. Fremde sind vor nix gefeit, wenn sie unvorbereitet in der Fremdsprache losplappern.
Gerade heute habe ich wieder an Dörte gedacht, und zwar deshalb, weil ich – endlich – nach etlichen Jahren auf die Idee gekommen bin, diese zwei Wörter, „schwul“ und „schwül“ sprachgeschichtlich zu untersuchen.
Die große Überraschung: Das Wort „schwül“ ist neueren Datums. Meinem Kluge „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ zufolge, wurde diese heute übliche Vokabel „schwül“ durch die Nähe zu „kühl“ beeinflusst. Das heißt: Irgendwo in Deutschland begannen Menschen „schwül“ im Sinne von „heiß und stickig“ zu sagen anstelle der älteren Form, die „schwul“ lautete. Ja, genau. Ich weiß nicht, warum diese Änderung stattgefunden hatte. Vielleicht hatte man bereits damals „schwul“ im Sinne von homosexuell zu gebrauchen begonnen. Kluge sagt dazu nichts.
Fakt ist aber: „Schwul“ bedeutete ursprünglich – schlicht und einfach – „warm“ oder „heiß“ und ist mit „schwelen“ verwandt. Wann Homosexuelle zum ersten Mal als „warme Brüder“ bezeichnet wurden, weiß ich auch leider nicht. Mit Sicherheit hat Vorsitzender Google oder Meisterplapperer Chat-GPT die Antwort gleich parat.
Aber Sie sehen: „schwul“ und „warm“ sind auf beiden Fronten doppeldeutig: im Sinne von homosexuell und auch temperatur- und luftfeuchtigkeitsmäßig.
Vielleicht hätte Dörte mir vor zwei- oder dreihundert Jahren sagen müssen: „Nein, lieber David, ‚mir ist schwul‘, muss du sagen. ‚Ich bin schwul‘ hat bei uns eine andere Bedeutung.“
Seien Sie vorgewarnt: Will man eine Fremdsprache lernen, gerät man leichter in Schwulitäten als man denkt.
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