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Warum die Chinesen uns oft nicht verstehen (und umgekehrt)

Ich wollte mich letzte Woche an die chinesische Regierung wenden und meine Wohnung anbieten, falls man noch einen sicheren Platz gebraucht hätte, um den Geist der olympischen Flamme zu zelebrieren.

Nicht dass meine Wohnung so groß wäre, aber es hätte genügend Platz für einige ausgewählte Sportler, für die chinesischen Flammengardisten, für diverse Reporter und sogar für ein paar zujubelnde Menschen gegeben.

Letztendlich war dies aber nur eine Fantasie, und die umkämpfte Flamme ist ohnehin längst nach Asien weitergereicht worden. Ich teile Ihnen dies lediglich mit, weil der Wirrwarr um die olympische Flamme mir Anlass gegeben hat, darüber nachzudenken, warum die Chinesen es mit uns so schwer haben.

Die Antwort wird Sie erstaunen: Die chinesische Schrift ist an allem schuld.

Ich weiß, das klingt hanebüchen. Ich werde aber erläutern.

Seit der Antike benutzen wir im Westen eine Schrift, die wir das "Alphabet“ nennen. Sie ist aus der alten phönizischen Schrift entstanden und zum ersten Mal irgendwann zwischen 1100 und 700 v.Chr in Griechenland in Erscheinung getreten. Soweit so gut.

Seit den 1950er Jahren mutmaßen einige Kulturforscher (unter ihnen der berühmte Kanadier Marshall McLuhan), dass der Gebrauch des Alphabets die "Programmierung“ unseres Hirns grundlegend beeinflusst hat. Wer buchstabiert, so heißt es, muss Wörter nach Klang organisieren und klassifizieren. Dieser Prozess erwecke wiederum die Voraussetzungen für das logische Denken, was letztendlich zur abstrakten Mathematik und zu jenem theoretischen Denken führe, das für die Entwicklung unserer Naturwissenschaft so wichtig war. Als Nebenbonbon: Man wird durch das abstrakte Denken zum Individuum. Alles klar?

Ganz anders die chinesische Schrift. Von alters her wird die Sprache der Chinesen mittels einer Bilderschrift und nicht eines Alphabets dargestellt. Das hat einen einfachen Grund: Im Chinesischen gibt es sehr viele gleichklingende Wörter, "Homonyme“. Das Wort "shi“, zum Beispiel, hat, so habe ich jedenfalls gelesen, Aberhunderte von verschiedenen Bedeutungen. Würde man "shi“ nur nach dem Alphabet schreiben, könnte das zu großen Unklarheiten führen. Und noch eine Eigentümlichkeit der chinesischen Sprache: Sie wird mehr oder weniger gesungen. Im Mandarinchinesich gibt es, zum Beispiel, vier verschiedene Töne. Je nach der Tonlage hat ein Wort einen anderen Sinn. Das Wort "ma“ bedeutet im neutralen Ton also "Mutter“, im steigenden Ton "Hanf“, im sinkenden Ton "fluchen“, und im sinkenden und dann wieder steigenden Ton "Pferd“. Im Kantonesischen zählt man sogar noch einige Töne hinzu. Chinesische Wörter durch ein Alphabet darzustellen, wäre, gelinde gesagt, zu kompliziert und verwirrend. Mit einer Bilderschrift, das heißt, ein Bild für jedes Wort, kann man das Chinesische viel präziser organisieren. Allerdings muss ein gebildeter Chinese um die 50.000 Bildzeichen auswendig lernen, um anspruchsvolle Literatur zu lesen.

Aber der Clou: Die Kulturforscher mutmaßen, dass auch der Gebrauch einer Bildersprache eine Wirkung auf die mentale "Software“ ausübt. Genauer gesagt: Ein chinesisches Hirn denkt anhand von konkreten und nicht wie bei uns abstrakten Konzepten. Darüber hinaus: Weil diese Bilderschrift pauschal für alle chinesische Dialekte verwendet wird, haben Chinesen die Möglichkeit, wenn es mit der gesprochenen Sprache nicht klappt, sich miteinander auch schriftlich zu verständigen, was ein kollektives Wahrnehmen aller Chinesen als Folge hat. Das Gegenteil also vom abendländischen Individualismus.

Wie gesagt. Dies ist nur eine Theorie, und ich habe sie ohnehin etwas vereinfacht dargestellt. Falls die Chinesen mit ihrer kontroversen Flamme zu mir gekommen wären, hätte ich das Thema aber ganz bestimmt aufgegriffen.

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