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Museum der Viktimologie – das Interview

Sprachbloggeur: Möchten Sie wirklich meinen Presseausweis sehen?

Kurator: Sehr gern, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Man weiß nie…

SB: Wie meinen Sie, man weiß nie?

Kurator: Tja. Ich verstehe. Sie fühlen sich vielleicht…sagen wir…vor den Kopf gestoßen, als würde ich quasi an Ihrer Identität zweifeln. Das wollen wir auch nicht, nicht wahr?

SB: Sie meinen also…ich könnte mich deshalb als Opfer fühlen…

Kurator: Sie haben es gesagt. Natürlich habe ich eine Antenne für eine solche Reaktion. Schließlich bin ich Kurator des größten Museums der Viktimologie auf der Welt – zumindest der westlichen Welt. Es gibt sehr wohl erhebliche Konkurrenz aus anderen Kulturkreisen.

SB: Zum Beispiel.

Kurator: Sagen wir so: Im Grunde sind wir die einzigen, die den Namen „Museum der Viktimologie“ verwenden. In anderen Kulturkreisen ist die Rede oft von „historischen Museen“. Da wird quasi die Geschichte einer jeweiligen Kultur bzw. eines jeweiligen Volkes mit Schwerpunkt Leiden erzählt – Opferbewusstsein halt.

SB: Ich verstehe. Vielleicht würden Sie mir netterweise verraten, warum Sie den Fachausdruck „Viktimologie“ verwenden? Kein Mensch benutzt diesen Begriff, der eine Vokabel „Viktim“ voraussetzt, die es in der deutschen Sprache eigentlich nicht gibt.

Kurator: Eine sehr gute Frage. Nur: Darf ich Ihre Frage mit einer Frage beantworten?

SB: Selbstverständlich…

Kurator: Wie würden Sie unser Museum nennen wollen, wenn Sie nach einer Gesamtthematik suchten? Bitte antworten Sie nicht mit „Historisches Museum“ oder dergleichen wie es bei den anderen üblicherweise der Fall ist. Schließlich – und dies bitte nicht zu vergessen – verfügen wir über die größte Sammlung von Gegenständen und Zeugnissen des Opferbewusstseins auf der ganzen Welt. Oder meinen Sie, dass „Museum des Opferbewusstseins“ etwa schöner bzw. aussagekräftiger klingt wie „Museum der Viktimologie“?

SB: Na ja, ich habe bloß gedacht, dass es vielleicht schön wäre, den Namen des Museums mit einem Begriff zu formulieren, den jeder auf Anhieb versteht.

Kurator: Einspruch, lieber Herr Sprachbloggeur! Überlegen Sie: Was wäre das Schlimmste, der „GAU“ sozusagen, würde ein Mensch das Wort „Viktimologie“ nicht verstehen?

SB: Tja. Wahrscheinlich würde ihn das irritieren. Oder vielleicht denkt er: Man nimmt mich nicht ernst. Man gibt dem Museum einen Namen, den ich nicht verstehe, damit ich mich dumm und minderwertig fühle…

Kurator: Eben! Jetzt haben Sie verstanden! Und so gelingt es uns quasi als Stimmungsmacher eine…wie soll ich sagen?... passende „Schwingung“ gleich zu erzeugen. Demzufolge betritt einer unser Museum mit einem bereits vorprogrammierten Unwohlsein! Verstehen Sie?

SB: Verstanden. Hut ab. Alles prima durchdacht. Ach, nicht zu vergessen: Sie haben mir eine private Führung durch die scheinbar endlosen Ausstellungsräume des Museums versprochen...

Kurator: Na ja, „endlos“ ist etwas übertrieben. Wobei wir eine Art Vollständigkeit doch erstreben – insoweit das überhaupt möglich ist. Ich muss Sie dennoch um ein bisschen Geduld bitten, wissen Sie.

SB: Selbstverständlich. Müssen Sie zuerst etwas erledigen?

Kurator: Jaaa, gewissermaßen. Es geht nur um Ihren Presseausweis. Wir müssen ihn noch etwas detaillierter kontrollieren. So sind hier die Regeln. Nur eine Formalität…

SB: Sie meinen, dass Sie nicht überzeugt sind, dass ich ICH bin?

Kurator: Nein, um Gottes willen, so was unterstelle ich Ihnen keinesfalls. Wie gesagt. Es handelt sich lediglich um eine kleine Formalität. Und dafür bitten wir um ein Quäntchen Geduld. Es könnte allerdings ein wenig dauern. Vielleicht möchten Sie sich hinsetzen. Ich werde Ihnen das Wartezimmer zeigen…

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