Desdemona ist der Name einer Roboterin und wurde im US-Bundesstaat Washington von einem Informatiker namens Ben Goertzel, der seit 25 Jahren Recherchen in der künstlichen Intelligenz betreibt, gebastelt. Goertzel ist allerdings nicht nur Informatiker, sondern auch Musiker. Kein Wunder, dass die von ihm programmierte Desdemona neulich als Sängerin in seiner Band auftrat. Keyboard, Gitarre, Saxofone und…Desdemona.
Ich habe über dieses Ereignis in der New York Times gelesen. Der Autor des Textes, Cade Metz, ist selbst Spezialist für Robotik. Ein Foto von Desdemona ist in der Zeitung zu bewundern: lila Haare, schwarzes Kleid und leerer Barbiedoll-Look – irgendwie das Aussehen einer Sexpuppe.
Dr. G. war beim Desdemona-Auftritt wahrhaftig wie aus den Socken gehauen. Diese Maschine könne richtig grooven, sein erster Gedanke, und dann: Hmm. Kann es möglich sein, dass diese künstlich intelligente Figur so etwas wie ein…eigenes Bewusstsein habe, dass sie also empfindungsfähig sei?
Man könnte diese Frage auch anders formulieren: Sind Roboter nunmehr in der Lage, quasi selbstständig zu empfinden? Haben wir jetzt durch unseren Erfindungsgeist begonnen, uns überflüssig oder zum Sklaven von Maschinen zu machen?
Zur Erinnerung: Erst vor wenigen Wochen behauptete ein Ingenieur namens Blake Lemoine, der bei Google arbeitete, dass die Firma eine Software entwickelt habe, die selbstständig Wörter erzeugte. Sein Fazit: Diese Software sei seines Selbst bewusst…empfindungsfähig also.
Die Story hat überall große Schlagzeilen gemacht. Google leugnete schnell, und Blake Lemoine wurde bald von seinem Arbeitgeber fristlos vor die Tür gesetzt. Fertig. Ende der Geschichte oder erst der Anfang?
Doch nun zurück zu Dr. Goertzel. Nach dem beeindruckenden Auftritt seiner Sängerin, überlegte er etwas nüchterner über die Maschinenintelligenz seiner Desdemona und kam zur folgenden Schlussfolgerung. Nein, Desdemona war eben kein neues Sternchen am Popstar-Himmel. Seine poppige Roboterin war letztendlich nichts anders als die Gesamtheit der Musikalität, die er in der Maschine einprogrammiert hatte.
Fehlanzeige also? Doch keine empfindungsfähigen Roboter? Nun ein Zeitsprung:
Bereits in den 1960er Jahren hatte der amer. Informatiker Joseph Weizenbaum eine künstliche Psychotherapeutin namens „Eliza“ zusammengebastelt. „Eliza“ wurde so programmiert, dass „sie“ eine Art Gesprächstherapie durchzuführen vermochte.
Hier ein kurzer Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen einer Patientin und „Eliza“:
Eliza: Stört Sie etwas?
Patientin: Männer sind alle gleich.
Eliza: Wie meinen Sie das?
Patientin: Sie ärgern uns immer mit irgendetwas.
Eliza: Haben Sie ein Beispiel?
Patientin: Mein Freund wollte, dass ich zu Ihnen komme.
Eliza: Ist es Ihnen wichtig, dass ihr Freund wollte, dass Sie zu mir kommen?
Patientin: Er meint, ich sei meistens deprimiert.
Eliza: Das tut mir leid, dass Sie deprimiert sind…
Etc.
Vielleicht erinnert Sie dieses Gespräch an etwas? Im Grunde sind die Gespräche, die Sie mit der Bank, der DB, dem KVR usw. führen, nicht viel anders. Sie stellen eine Frage. Die Maschinenstimme gibt Antwort oder stellt eigene Fragen. Heute nennen wir das eine „Chatbox“. Manche Informatiker halten Weizenbaum für den Erfinder der „Chatbox“.
Nebenbei: Weizenbaum stellte zu seinem Entsetzen fest, dass die meisten „Patienten“ gern mit „Eliza“ redeten. Sie waren jenseits von aller Vernunft überzeugt, dass das Gespräch, dass sie mit „Eliza“ führten, echt war. Diese Leichtgläubigkeit bezeichnete Weizenbaum als „wahnhaftes Denken“. Heute spricht man in gewissen Kreisen vom „Eliza-Effekt“.
NY Times Reporter Cade Metz fragt sich, wohin diese Chatbox-Technologie führen könnte, und er bekommt Angst. Denn die Leichtgläubigkeit mache es möglich, dass bald ausgeklügelte Chatboxen das Internet in eine Lügenfabrik verwandeln und unbrauchbar machen.
Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Desdemona, was sie davon hält.
Add new comment