Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Sie das Wort „Mulm“ kennen, bzw., schon mal gehört haben. Schließlich sind Sie Deutsche. Dennoch eine Frage: Heißt es „der“, „die“ oder „das“ Mulm. Diese Frage zu beantworten, erfordert das sprachliche Urvertrauen des Muttersprachlers.
Falls Sie auf „der“ tippen, haben Sie natürlich recht. Es heißt „der Mulm“. Dahinter steckt eine gewisse Sprachlogik des Deutschen. Es gibt nämlich eine Reihe einsilbiger dt. Vokabeln, die maskulin sind. Z.B.: „Halm“, „Helm“, „Strunk“, „Stroh“, „Klump“, „Brand“, „Kropf“ usw. usw. usw. „Mulm“ ist eine von dieser Kategorie. Wenn allerdings ein kurzes Wort zweisilbig ist, und die zweite Silbe auf „E“ auslautet, kann man dann davon ausgehen, dass es ein Femininum ist. Dies gilt freilich für „Hase“ nicht.
Und nun eine zweite Frage: Was bedeutet „Mulm“? Hier bin ich nicht so sicher, dass Sie die Antwort parat haben. Aber was weiß ich?
Dem Duden zufolge ist „Mulm“ ein „pulveriger Humusboden“ oder ein „verfaultes, getrocknetes und zu Pulver zerfallenes Holz“. Klingt auch so.
Es gibt sogar ein Verb „mulmen“ im Sinne von „zu Mulm machen“ oder „in Mulm zerfallen“.
Die Mulm-Familie ist übrigens mit „mahlen“ verwandt. Gleiches gilt für die „Malm“-Familie. (Selbstverständlich heißt es der „Malm“). „Malm“ begegnet man allerdings viel seltener als „Mulm“. Denn Ersteres wird äußerst spezialisiert verwendet. Der „Malm“ ist nämlich die „obere Abteilung des Juras“. Nebenbei: Das gleiche Wort gibt es auch auf Englisch im Sinne von „kalkreicher Lehm“.
Obwohl ich englischer Muttersprachler bin, habe ich „malm“ nie gehört.
„Malmen“ als Verb leuchtet sofort ein. Das machen die Zähne, wenn sie sich langsam aneinander reiben. Der Zahnarzt verschreibt dann eine Knirschschiene. „Zermalmen“ und „Zermahlen“ sind ähnlich, aber die kennt jeder.
Und somit kommen wir endlich zu „mulmig“. Ganz klar, dass das Wort mit „Mulm“ und „mulmen“ zu tun hat. Wenn ein Humusboden „pulverig oder locker“ (s. Duden) ist, bezeichnet man es als „mulmig“. Auch wenn etwas „faulig oder morsch“ ist, sagt man, dass es „mulmig“ ist.
Meistens aber benutze wir „mulmig“ in einem anderen Sinn. Vielleicht soll es das Gefühl vermitteln, das man hat, wenn man auf morschem Boden tritt. Sprich: unsicher, weil man keinen Halt mehr hat.
Grade dieses mulmige Gefühl macht sich z.B. momentan in Europa breit. Die Preise steigern. Ein grausamer Krieg wütet im Osten. Die Pandemie der letzten Jahre bedrückt noch immer. Wir haben uns mit ihr lediglich arrangiert. Und obendrein wuchert wie in Galopp der Tod.
He! Was habe ich da zusammengereimt!? Krieg, Pestilenz, Teuerung und Tod! Kommen Ihnen diese Vierlinge bekannt vor?
Wer bibelfest ist – und das sind heute die Wenigsten – weiß Bescheid: In Galopp trotten die vier Reiter der Apokalypse heran! Zumindest so sehen sie aus in einem Bild von Dürer.
Brrr. Da wird’s einem bei dem Gedanken richtig mulmig.
Endzeitfreunde freuen sich ob dieses düsteren Gedankens. Endlich Weltuntergang!, jauchzen sie. Höllenfeuer für die Bösen und ein irdisches Paradies für die „Guten“!
Aber halt. „Apokalypse“ wird zwar heute im Sinne von „Katastrophe“ verwendet. Auf Griechisch bedeutet dieses Wort lediglich „Enthüllung“, „Offenbarung“. Und so heißt in dt. Übersetzung das kurze und sehr faszinierende Büchlein im Neuen Testament: „Offenbarungen“. Glauben Sie mir aber: Die hehre metaphorische Sprache dieses Textes darf man aber nicht allzu wörtlich verstehen. So wenig wie man die Schöpfungsgeschichte am Anfang von Genesis im Alten Testaments (Sie wissen schon: das mit den sieben Tagen der Schöpfung) wörtlich nehmen darf. Früher hat man gern in mysteriösen Bildern die „Geheimnisse“ dargestellt.
Fazit: Die Welt geht nicht unter. Trotzdem haben wir momentan guten Grund, uns mulmig zu fühlen.
PS Alles geht vorbei – auch das Mulmigsein.
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