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Sterben wie ein Hund

Hallo liebe Bots, hallo liebe Leser. Märchenstunde beim Sprachbloggeur. Zwar hatte ich heute vor, Ihnen ein paar neue Modewörter zu verraten. Dies aber ein anderes Mal. Momentan drängt Wichtigeres nach Ausdruck.

Haben Sie gewusst, dass das Leben eines Influencers (damit meine ich auch die Diverse) arg schwierig ist?

Beispiel: Bei YouTube habe ich schon lange – und mit großem Genuss – die Musiktheorie-Videos eines gewissen Michael New verfolgt. Er ist klug und kann hervorragend erklären. Manche Videos wurden über eine Million Male angeklickt. Die am wenigsten besuchten haben immerhin ca. 40.000 Interessierte erreicht.

Allerdings sind die Videos auf Englisch. Ich weiß nicht, ob in diesem Fall Google-Translate nützlich ist. Seine ersten Videos hat Michael New vor ca. 11 Jahren hochgeladen, seine letzten vor ca. vier Jahren. Viel Arbeit, viel Zeit. Doch dann war plötzlich Funkstille. Was ist geschehen?

Erst vor ein paar Monaten entdeckte ich Neues von New. Doch diesmal erschien er gemeinsam mit seinem Bruder. Und: sein Thema war nicht die Musik, sondern das Problem des „Burnout“ unter YouTube-Influencers. Verbreiteter als man denkt, meint New.

Zunehmend, so erfahren wir, verfiel New, bevor er an einem neuen Video arbeitete, in Panik. Die Ursache war der immer wachsende Leistungsdruck. Werde ich es richtig hinkriegen?, sann er. Wird das Video meinem Publikum gefallen? Noch dazu wurde er, so stellte er fest, zusehends lobsüchtig. Und tatsächlich bekam er mehrere hunderte lobende Kommentare.

Trotzdem regte er sich auf, wenn ab und an ein dämlicher Troll Dummheiten von sich gab. Aber so ist das Internet. Auch der Volltrottel und der Lügner kommen auf ihre Kosten. Für Michael New komischerweise wirkten die Lügen wie ein Messerstich.

Michael New steht mit seiner Klage über den Leistungsdruck des Influencerlebens nicht allein da. Neulich habe ich einen Artikel zu diesem Thema im Spiegel-Online entdeckt. Darin beklagten sich der blauhaarige Rezo und andere Kollegen über den Zwang zu produzieren und gemocht zu sein. Ich habe den Artikel nicht gelesen (Es war For-Pay-Content).

In der New York Times stand Ähnliches. Dort wurden zwei traurige TikTok-Influencerinnen interviewt. Beide durften Anfang 20 sein und hatten nun ein Burnout-Erlebnis. Gleiches Problem erlebte die mutige US-Gymnastin Simone Biles, die jetzt ihren Olympiade-Auftritt abblies, weil sie den Druck nicht mehr aushalte.

Alles nachvollziehbar. Ständig grübelt der Influencer: Was mache ich das nächste Mal, damit mein Publikum mich weiterhin liebt? (Nebenbei: Der Sprachbloggeur hat dieses Problem nicht. Ich gehe davon aus, dass ich kaum Leser habe, dass die vielen Klicks auf dieser Seite das Anklopfen der Bots sind, jene Automatismen, die nur den Zweck haben, das Schöne zu zerstören. Und auch wenn ich viele Leser hätte, würde ich einfach das machen, wie seit 14 Jahren. D.h.: das sagen, was raus will!)

Ich habe Ihnen aber am Anfang dieser Glosse eine „Märchenstunde“ versprochen. Und nun folgt sie: Heute ist mir Georges Gurdjieff eingefallen. Er war Mystiker, Schlitzohr und ebenfalls ein tiefschürfender wenn auch höchst ironischer Schriftsteller, der (ca.) 1866 bis 1949 lebte. Als ich jung war, hab ich seine Werke eifrig gelesen. Das Problem: Ich hab mir bald eingebildet, ich sei ebenso ein Schlaumeier wie er. Dem war nicht so, und ich habe deshalb, als mir dies klar wurde, erheblich darunter gelitten.

Dieser Gurdjieff hatte in den 1920er Jahren bei Fontainebleau einen „Institut für die harmonische Entwicklung der Menschen“ gegründet, eine Art Kommune – hauptsächlich für Intellektuelle, die sich trotz Witz und Beredsamkeit leer fühlten und nach dem Sinn des Lebens suchten. Ich werde hier keine Liste seiner Anhänger aufschreiben. Das können Sie selbst nachschlagen.

Nur eine Anhängerin möchte ich namentlich erwähnen: die Schriftstellerin Katherine Mansfield. Sterbenskrank kam sie zu Gurdjieff in Fontainebleau, auf der Suche nach Erleuchtung. Gurdjieff hat ihr ein Bettlager in einer Scheune zubereitet. Das fand sie himmlisch und schrieb von dort während der Zeit ihres Siechtums viele Briefe an ihren Mann. Als sie dann starb, wurde sie am Gelände des Instituts begraben. Pietätsvoll trillerten die Teilnehmer an der Beisetzung, wie sie wenigstens nun als Verklärte gestorben sei.

Gurdjieff antwortete: „Nein, sie ist gestorben wie ein Hund.“

Was hat er damit gemeint?

Gegenfrage: Was bedeutet es, wenn man nicht wie ein Hund stirbt? Ja, dass ist eine Frage, die ich insbesondere meinen Bots stelle – und auch solchen Influencern, die niemals an sich gezweifelt haben.

Vielleicht nächste Woche die neuen Worte, die ich schon zweimal versprochen habe.

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