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Leerverkauf und Leberwurst

Die Sprachjury hat wieder zugeschlagen: wie immer aber mit den Augen auf die Vergangenheit gerichtet, eine Sichtweise, die lediglich auf Hinterteile zeigt.

Worum geht es? Den Medienberichten zufolge wurden nun die „Anglizismen des Jahres 2020“ gekürt. Und wie heißen die Sieger dieses spannenden rückwärts gewandten Wettbewerbs? Wahrscheinlich wissen Sie es schon. Solche Nachrichten werden gern in den Massenmedien hinausposaunt, um müde Seelen aufzupäppeln.

Die Siegervokabel war:

„Lockdown“! Na klar „Lockdown“. Es geht noch weiter: Den zweiten Platz teilten sage und schreibe fünf(!) Konkurrentinnen: “Social Distancing”, “Homeoffice”, “Homeschooling”, “Shutdown” und – last but not least – “Superspreader”! Ob es ein Preisgeld gibt?

Treue Leser dieser Seite wissen natürlich, dass der Sprachbloggeur schon vor ein paar Monaten übers Thema „Lockdown“ ausführlich referiert hatte – ohne daraus einen Wettbewerb ins Leben rufen zu müssen.

Unterdessen richten wir in diesem kleinen Tante-Emma-Wortladen, während sich eine Jury mit Vergangenem beschäftigt hat, unser Auge auf Aktuelles.

Von daher wenden wir uns heute dem „Leerverkauf“ zu. Auf Englisch heißt dies „short selling“. Die engl. Version interessiert uns aber kaum.

Mit „Leerverkauf“ ist Folgendes gemeint. A borgt von B eine Wertsache, üblicherweise Aktien (notabene: er kauft sie nicht). Allerdings muss er B für die vereinbarte Ausleihzeit eine gewisse Summe hinterlegen, eine Art Pfand.

Warum will A diese Aktien bzw. Wertsachen ausleihen? Weil er spekuliert! Er hofft, bzw., glaubt, dass besagte Wertsache, wenn die Ausleihzeit um ist, weniger Wert haben wird als am Anfang. Falls dem so ist, muss B ihm die Wertdifferenz ausbezahlen. Kurz gesagt: A macht einen Gewinn.

Keine Ahnung, warum diese Masche „Leerverkauf“ heißt. Die Sache ist weder leer noch ein Verkauf. Ein „Leerverkauf“ ist also insofern wie ein Leberkäse, der, wie jeder weiß, weder Leber noch Käse beinhaltet.

Es dürfte also jedem klar sein, dass es hier allein ums Zocken geht. Dieses Spielchen mit dem Leerverkauf ist besonders bei den sog. „Hedgefonds“ beliebt. Erinnern Sie sich? 2005 wurden diese Investmentgesellschaften vom damaligen Bundestagsvizepräsidenten Franz Müntefering als „Heuschrecken“ angegriffen. Nebenbei: „Hedge“ lässt sich mit „Hecke“ übersetzen. Die „Hedgefond“-Spekulanten umgeben ihre Investitionen – zumindest theoretisch – mit einer Art „Hecke“ wohl zum Selbstschutz.

Es wurde in jüngster Zeit sehr viel über den „Leerverkauf“ geschrieben. Vor allem deshalb, weil es einem Socialmedia-Flashmob (alle diese Begriffe gelten als Neudeutsch) gelungen war, einen Hedgefond namens Melvin Capital, ein Leerverkaufgeschäft derart zu sabotieren, dass Melvin Milliarden Euro Verluste einstecken musste.

Die Fakten: Melvin hatte sich die Aktien einer maroden Computerspiel-Firma „Gamestop“ „leergekauft“, in der Hoffnung, der Wert dieser Aktien würde während der vereinbarten Leihfrist noch weiter abstürzen, was Melvin einen dicken Gewinn eingebracht hätte. „Klassisches Hedgefondgeschäft also.

Dem war aber nicht so. Denn ein „Flashmob“ hatte sich ausgerechnet diese Aktien eifrig aufgekauft, um den Wert künstlich in die Höhe zu treiben. Tausende von Kleinstinvestoren machten mit, und bald hatte die sieche Firma „Gamestop“ einen Wert wie Siemens oder Amazon oder so. Melvin Capital wurde folglich in die Knie gezwungen, musste nach Fristende blechen.

Ja, all dies klingt wie ein Märchen. Ist aber keins. Willkommen im Informationszeitalter. Nichts wird so sein wie früher. Die Info-Revolution zeigt täglich ihre wenig erforschten Möglichkeiten. Und sie wächst schnell heran!

Fazit: Die Spielregeln auf verschiedenen Fronten müssen stets neu geschrieben werden…

…und die Zeiten des „Leerverkaufs“ sind nun gezählt…

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