Sind Sie eine Minderheit?
Ich schon. Ich bin zum Beispiel Linkshänder. Haben Sie gewusst, dass wir Linkshänder diskriminiert werden? Im Ernst. Ob Gemüseschäler ATM-Maschinen, einarmige Banditen, Schraubenzieher…fast alles dreht sich um die Fingerfertigkeit des Rechtshänders.
Ist Ihnen jemals aufgefallen, dass eine Füllfeder…besser gesagt: die Schrift selbst… für Rechtshänder günstiger zu handhaben ist?
Wenn ich einen Füller in die Hand nehme, verschmiere ich fast immer!
Noch schlimmer: Keiner scheint sich für meine schwierige Lage zu interessieren. Wir Linkshänder haben nämlich keine Lobby! Nicht einmal bei den Grünen, die meistens ein Herz für Minderheiten haben!
Ich bin aber kein Jammerer. War nie einer, was vielleicht schade ist. Denn die Jammerer (und viele Minderheiten jammern gern) sehen ihre Gesichter in der Zeitung oder in den Online-Nachrichten und dürfen ergiebig über eine gefühlte Diskriminierung abreagieren. Und dann zack! Es erscheinen lauter Seite-Drei-Artikel über die diskriminierten Jammerer.
Sie sagen: Ich bin eine Minderheit. Ich werde diskriminiert. Ich fühle mich in diesem Land nicht akzeptiert…etc.
Wie gesagt. Ich jammere nicht. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass ich eine Minderheit bin.
Ach ja. Hab ich beinahe vergessen! Ich bin auch Ausländer, was auch eine anerkannte Weise ist, eine Minderheit zu sein. Upps! Hab vergessen. „Ausländer“ sagt man nicht mehr. Ich meine, ich bin Mitbürger mit Migrantenhintergrund. Manche von uns – ich meine Leute mit einem Migrantenhintergrund – jammern gerne, weil sie keine Inländer sind.
Man fühlt sich als Migrantler (bzw. Migrantlerin) diskriminiert, wenn, z.B., einer, der keinen Migrantenhintergrund hat, einen, der doch einen Migrantenhintergrund hat, fragt, woher diese(r) kommt. Prompt fühlt man sich diskriminiert, weil dadurch auf den eigenen Minderheitstatus aufmerksam gemacht worden ist.
Einmal – das war schon lange her – suchte ich nach einer Wohnung. Ich stieß in der Zeitung (damals gab es noch kein Internet) auf eine Annonce, die eine Wohnung, die mich interessiert hätte, inserierte. Also rief ich an (damals gab es auch keine Handys), um mich über die Wohnung näher zu informieren.
Die Dame am anderen Ende der Strippe vernahm sofort, dass ich einen Migrantenhintergrund hatte und sagte: „Es tut mir leid. Ich vermiete nicht an Ausländer.“ (Damals gab es den Begriff „Mitbürger mit Migrantenhintergrund nicht“).
Wissen Sie, was ich antwortete? Ich sagte: „Gute Dame, ich bin kein Ausländer. Ich bin Amerikaner!“
Mei. Das hat ins Mark getroffen. Sie wusste nicht, wie sie antworten sollte. Es dauerte eine Weile, dann sagte sie: „Ach. Oh. Ahh. Ja, mein Schwager lebt in Brooklyn.“ Notabene: Brooklyn ist ein Stadtteil in New York. In New York, liebe Leser, sind auch Sie der Ausländer, will sagen, der „foreigner“. Ich aber nicht.
Notabene: Amerikaner gelten manchmal hier in Deutschland nicht immer als richtige Ausländer. Das kommt daher, dass wir bis Corona die stärkste Macht auf der Welt waren und ehemalige Besatzungsmacht obendrein. Na ja, die Macht kommt, die Macht vergeht. Kluge Amerikaner konnten schon immer die „Amerika-Karte“ spielen, wenn sie in Deutschland Probleme hatten. Dies half allerdings nicht immer. Als ich einmal mein Buch „Wie ich die deutsche Sprache eroberte“ einem angesehenen dt. Verlag zur Publikation angeboten hatte, bekam ich die Antwort von einer Lektorin. „Sie schreiben witzig und schön und obendrein mit Tiefgang. Nur leider sind sie der falsche Ausländer.“
By the way: Eins lassen die „Biodeutschen“ nie aus der Hand – und das gilt auch für die Anhänger**Innen der Willkommenskultur: nämlich die dt. Sprache selbst. Gelingt es einem (bzw. einer) Ausländer(in) die dt. Sprache – in Wort und Schrift – zu „erobern“, ist das für einen „Biodeutschen“ selten eine Freude. „Ja, Sie schreiben ein s c h ö n e s Deutsch!“, heißt es…als hätte der Affe das Reden gelernt (s. Kafka).
Als ich einmal mit meinem Textchef (damals war ich Zeitschriftjournalist) über eine knifflige Formulierung diskutieren wollte, erwiderte er blitzschnell: „Nein, so nicht. Schließlich ist es unsere Sprache, Herr Blumenthal, nicht Ihre.“ Ende der Diskussion.
Und jetzt verstehen Sie ein wenig, wie es ist, liebe Lesende, eine Minderheit zu sein.
In meinem Fall ist das Minderheitsdasein besonders vielfältig, und ich habe bisher nur einige meiner Qualifikationen preisgegeben. Hier aber noch ein Beispiel: In meiner Jugend hatte ich – und nun wird es sehr persönlich – einen Bauchnabel, der sich nach außen erhob wie ein Pfropf. Das nannten wir in New York ein „outie“. Es war nur eine Minderheit von Menschen, die einen solchen Bauchnabel hatten. Mit den Jahren aber bin auch ich zum „innie“ geworden. Es ist einfach so passiert. Keine Ahnung, wie.
Sie können es sich kaum vorstellen, wie schön es ist – zumindest auf einem Gebiet – keine Minderheit mehr zu sein!
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