Themenwechsel: Während wir auf die zweite Welle warten, lassen wir uns kurz pausieren und uns lieber anderen Dingen zuwenden. Okay?
Zum Beispiel das Gedankenlesen.
Nein. Hier kein Text über Kunststücke aus dem Varieté, wo der Swami genau errät, welche Spielkarte Sie gerade gezogen haben, indem er diese aus Ihren Gedanken abliest. Das kennen Sie, oder?
Oder vielleicht haben Sie‘s mal selbst erlebt: Sie sind mit einer anderen Person oder mit der Ehe- bzw. Lebensabschnittsperson zusammen. Keiner redet in dem Augenblick, aber plötzlich denken Sie an die leckere Pizza, die Sie letzte Woche beim Abholitaliener vertilgt haben.
Auf einmal sagt Ihr Gegenüber: „Mmm, ich esse Pizza für mein Leben gern.“
Nun die Frage: Hat die andere Person übers Thema Pizza zuerst gedacht, woraufhin Sie, sozusagen, deren Gedanken wie ein Rundfunkgerät empfangen haben? Oder hat die andere Person schlichtweg Ihren Gedanken abgelesen?
Ganz ehrlich: Die Antwort auf diese Frage ist sehr schwer zu ermitteln.
Ich erinnere mich an ein Buch. Es wurde, glaub ich, in den 1960er Jahren geschrieben. Leider habe ich den Titel vergessen. Es handelte von der Parapsychologie, was damals sehr modisch war. Auch das Gedankenlesen wurde im Buch thematisieret. Ist logisch. Damals herrschte noch kalter Krieg, und die Geheimdienste waren allesamt scharf darauf, sich diese parapsychologische Fähigkeit zu bemächtigen. Immerhin: Die Gedanken anderer zu lesen hätte gewisse Vorteile, vor allem in der Spionage. Doch auch – als es noch keine Phones und keine Mails gegeben hat – als Mittel, um wichtige Nachrichten schnellstmöglich auf den Weg zu verschicken.
Wenn ich mich noch entsinne, stand in diesem Buch eine Menge über die Recherchen sowjetischer Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Eine hellseherische russische Frau spielte hier der Mittelpunkt der Forschung. Ich glaube aber, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung war. Leider vergesse ich, was genau das Haar in der Suppe war. Vielleicht war sie Trinkerin. Ich kann es beileibe nicht mehr rekonstruieren.
Aber wieso komme ich auf dieses Thema? Weil ich gerade in der Schweizer Weltwoche einen Text über einen Sprachwissenschaftler namens Balthasar Bickel von der Uni Zürich gelesen habe. Er führt nämlich Recherchen über ein Thema, dass er „Evolving Language“ nennt. Will sagen: Sein Institut untersucht das Phänomen des Gedankenlesens.
Diesem Prof. Bickel zufolge wird man in den nächsten zehn Jahren – zumindest im Labor – in der Lage sein, das zu verstehen, was eine Versuchsperson denkt. Man müsse lediglich, um dies zu bewerkstelligen, ein paar Elektroden ans Hirn anbringen.
Hier gebe es allerdings einen Haken – zumindest beim jetzigen Stand der Dinge: Will man einem die Gedanken mittels Elektroden hervorlocken, muss zuerst der Schädeldeckel abgetrennt werden. Das ist zum Glück beim heutigen Stand der Medizin ein Klacks! Kann jeder Medizinstudent schon im 3. Semester. Die Frage ist nur: Wie viele Testpersonen wären bereit, den eigenen Schädeldeckel lüften zu lassen, damit ein Halbgott in weißem Kittel seine Gedanken abzulesen vermag? Zweifelsohne gibt es welche, so wie es auch Leute gibt, die deklarieren, dass Bill Gates das Coronavirus aus dem Boden gestampft hat.
Zum Glück aber ist Bickel zuversichtlich, dass man bald in der Lage sein wird, die Gedanken anderer zu deuten, auch ohne Hilfe einer Kreissäge.
Vielleicht fragen Sie, was dieses Forschungsgebiet für einen Sinn hat? Und jetzt das Positive: Bickel hofft, z.B., dass durch diese Technologie eines Tages Menschen, die ihr Sprachvermögen durch einen Schlaganfall usw. verloren haben, verholfen werden könnten. Einen „Quantensprung in der Kommunikation, der evolutionär von größter Bedeutung ist“, meint er.
Sicherlich hätte auch das Zhōnghuá Rénmín Gònghéguó Guójiā Ānquánbù (chin. Geheimdienst) auch erhebliches Interesse an diese Technologie. Ebenfalls die Kollegen aus anderen Ländern.
Aber jetzt werde ich vielleicht zu spekulativ.
Ich hätte freilich als Sprachbloggeur ein paar ganz andere Fragen zum Thema. Etwa: Werden Gedanken als Sprache gesendet? Kommen sie als Worte an? Oder haben Gedanken eine eigene „Sprache“, die nichts mit Chinesisch, Deutsch, Englisch usw. zu tun hat?
Und was ist, wenn der Gedankensender eine andre Sprache redet als der Gedankenempfänger? Versteht der Empfänger die Botschaft dennoch? Oder unterscheiden sich die Gedankengrammatik und vielleicht der Gedankenwortschatz von Sprache zu Sprache?
Schon jetzt wird’s knifflig…und das gleich am Anfang unserer Gedankenspielerei…
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