Eine wahre Geschichte…
Ein Mordfall an einer Tankstelle…auf einer Autobahn im nördlichen New Jersey, USA. Der Räuber wird schnell nervös, ballert gleich los. Der Kassierer fällt tot um. Sein Mörder kratzt sich ca. 350 Dollar aus der Kasse zusammen und haut ab. Wohin?
Am nächsten Tag klingelt es an meiner Tür in München…sechs Uhr in der Früh. Es ist die Polizei. Man will mir ein paar Fragen stellen…
Es stellt sich heraus, dass der Mörder in New Jersey auf einer Überwachungskamera erfasst und das Bild mit Clearview AI-Software untersucht wurde. Mal davon gehört?
Clearview AI-Software wurde vom Australo-Amerikaner HoanTon-That entwickelt. Seine Software saugt weltweit alle Bilder auf, die jemals öffentlich zugänglich im Internet erschienen sind – sprich auf Facebook, Twitter, Instagram etc. etc. etc. Diese werden dann innerhalb Millisekunden durch die schlaue Software bewertet. Sucht man einen, von dem man ein Suchbild hat, so findet man im Nu Bilder, die diesen Menschen darstellen.
Im beschriebenen Fall hatte der junge Mann auf dem Suchbild große Ähnlichkeiten mit einem Foto von mir, das ca. 1975 entstanden ist. Die Ähnlichkeit mit dem Mörder ist in der Tat frappierend. Natürlich ist noch zu klären, wieso ich plötzlich so alt aussehe und noch dazu es geschafft hat wie durch Zauberhand von New Jersey nach München zu gelangen.
Tja. Da hapert es wohl mit der Clearview AI-Software.
Ach übrigens. Hab ich oben „Eine wahre Geschichte“ geschrieben? Natürlich ist Obiges glatt gelogen. Was ich gerade erzählt habe, ist lediglich eine Erfindung meiner sehr lebendigen Fantasie. Sorry. Dennoch habe ich drei Dinge bewiesen:
Erstens: dass ich s e h r fantasiereich bin
Zweitens: dass es reichlich Raum für den Missbrauch von Clearview AI-Software gibt
Drittens: dass sich das Lügen manchmal lohnt, wenn es gewinnbringend eingesetzt werden kann. Fragen sie den Goebbels, den Putin…den…Sprachbloggeur? Ja, es stimmt: Lügen haben zwar kurze Beine, doch man muss sie erstmal sehen!
Stellen Sie sich vor: Sie – ja, Sie – haben eine große Ähnlichkeit mit jemandem, nach dem gefahndet wird. Noch dazu – Ihr Pech: Sie wohnen in der gleichen Großstadt mit dem Gesuchten und sind in etwa gleich alt. Dank Clearview AI haben die Fahnder vielleicht Sie und nicht den wahren Übeltäter geschnappt. Und plötzlich stehen Sie da in Erklärungsnot.
Auch diese Möglichkeit habe ich mir ausgedacht. Es ist jedenfalls allemal plausibler als die Lüge, die ich am Anfang dieses Textes aufgetischt habe.
Hoan Ton-That (der Name ist vietnamesisch; der Software-Entwickler stammt aus Australien und lebt jetzt in San Francisco) ist ein gutaussehender junger Mann, ca. 30, mit langen Haaren und weichen androgynen Gesichtszügen, die bald viel männlicher wirken werden. Er ist außerdem nicht auf den Mund gefallen. Darüber hinaus ist er von seiner Software und deren Nutzen (z.B., in der Verbrecherbekämpfung) überzeugt. Ich glaube, dass er nicht schlecht verdient.
Wenn ich das noch in Erinnerung habe, wird Gesichtserkennungssoftware in China – besonders im Gebiet der Uiguren – erfolgreich angewendet. Aber vielleicht auch in Ihrer Stadt!
Ja, schon. Man will die Kriminellen hinter Gittern bringen. Ist doch besser für alle. Aber irgendwas gefällt mir bei der Sache trotzdem nicht. Gestern hat mir Spiegel-Online ein Angebot gemacht: Für 4,95 Euro monatlich kann ich „SPON“ fortan ohne Werbung sehen. Will ich weiterhin kostenlos einklinken, dann muss ich das übliche „Tracking“ in Kauf nehmen.
Gesichtserkennungssoftware, Tracking-Software. Hand aufs Herz: Möchten Sie zu Weihnachten wirklich ein neues Handy haben?
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