Die Nachricht hat sich wie ein Steppenbrand ausgebreitet. Ach nein! Wirklich das falsche Bild! Verdammt!
Gemeint ist der Großbrand, der die Kathedrale Notre Dame beinahe dahingerafft hat. Schon unheimlich, gell? Man weiß nicht, was man hat, bis man dabei ist, es zu verlieren.
Die Titelseite der gestrigen Süddeutschen Zeitung zeigte ein Bild vom auflodernden Kulturwahrzeichen. Unterhalb des Fotos prangte die dicke Schlagzeile: „Winterkorn attackiert Staatsanwälte“.
Wer noch Schlaf in den Äuglein hatte, der hätte natürlich meinen können, dass Herr Winterkorn, jener geschasste Bonze des VW-Imperiums, wohl aus einer inneren Rage irgendwo einen Großbrand angelegt hatte, um quasi die Staatsanwälte zu „attackieren“. Wer sich den schläfrigen Blick aufs Foto genauer warf, hätte obendrein meinen können…“hej, das sieht aus wie eine brennende Kathedrale! Wohnten die Staatsanwälte da drin?“
Vielleicht sollte ich einen Leser**Innen**brief an die Süddeutsche adressieren, um auf dieses misslungene Layout hinzuweisen.
Nein, vergebliche Liebesmühe. Die SZ veröffentlicht meine Leserbriefe ohnehin nie. Wissen Sie, warum nicht? Sie werden es kaum für möglich halten. Irgendwo in meiner Unordnung habe ich aber den Beweis. Vor vielen Jahren hatte ich einen Leserbrief (so hießen sie damals) an die SZ geschrieben und erhielt postwendend eine Antwort von der Redaktion. Ja, wirklich. Damals hat man noch Antworten an Leserbrief schickende Leser geschickt. Inhalt dieses Briefes von der SZ: Man könne meinen Leserbrief leider nicht veröffentlichen, weil ich ihn mit „P.J. Blumenthal“ unterzeichnet habe. Die SZ bestehe darauf, dass sich Leser mit vollem Namen, wie er im Pass stehe, kennzeichnen, mfg.
Da war ich sehr verblüfft, wenn nicht entsetzt und antwortete, dass ich mit „P.J. Blumenthal“ unterzeichne, weil ich „P.J. Blumenthal“ heiße; dass ich mich seit meinem elften Lebensjahr so nenne; und dass ich als Schriftsteller diesen Namen unzählige Male benutzt habe – ohne dass jemand daran zweifelte, dass dies mein Name sei. Weiter fragte ich, ob die SZ-Redaktion aus den gleichen Gründen Leserzuschriften von O.W. Fischer, E.T.A. Hoffmann und T.S. Eliot ablehnen würden.
Stellen Sie sich vor: Bald bekam ich eine Antwort von der Redaktion, in der mein Recht, mich P.J. Blumenthal zu nennen, bestätigt wurde. Leider ist auch dieser Brief nicht mehr auffindbar, weshalb ich aufgehört habe, Leser**Innen**briefe an die SZ zu senden. Viel zu kompliziert.
Eigentlich wollte ich heute noch einiges über den schrecklichen Brand in Paris schreiben. Und zwar: Kurz nachdem ich darüber erfuhr, suchte ich in den Medien nach mehr Infos. Im Nu entdeckte ich natürlich endlose Fotos und Videos von der Glut, die von der traditionsreichen Kathedrale himmelwärts emporstieg. Doch dann nahm ich eine zweite auflodernde Glut wahr: die nämlich, die – weltweit – in den Augen Chefredakteure brannte, die in dieser Katastrophe die Chance erkannten, die jeweilige Auflage und die Zahl der Klicks zu erhöhen.
Ja, das klingt zynisch, aber wie heißt es so schön? Dein Verlust, mein Gewinn.
Gestern betrat ich Paradies. Für diejenigen Leser, die vergessen haben, was ich mit diesem Wort meine: „Paradies“ ist der Name meines Nachbarschaftsobstundgemüseladens. Er bietet im Ernst einen Vorgeschmack des echten Paradieses.
Frau M., die Chefin von Paradies, und ich kamen schnell über die Ereignisse in Paris zu reden. „Irgendwie wird’s zu viel“, sagte sie. „Man hört nix anders als Paris, Notre Dame, Brand, als gäbe es keine anderen Nachrichten auf der Welt. Noch schlimmer: Die wiederholen sich ständig. Und dann das Tollste: Man hat eine Frau interviewt, die diese Brandkatastrophe mit ‚nine-eleven‘ verglich! Können Sie sich das vorstellen!? Was hat das World-Trade-Center mit dem Brand in Paris gemeinsam!? So viel Geschwätz.“
Ja, das hat Frau M. gesagt. Und eigentlich hab ich da nix hinzufügen…außer vielleicht Folgendes: Ich glaube nicht, dass Martin Winterkorn etwas mit diesem Großbrand in Paris zu tun hatte, was ich für eine gute Nachricht halte …
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