Leser: Was ist mit Ihnen, Sprachbloggeur? Sie wirken so missmutig, so in sich gekehrt? Haben Sie uns nix Unterhaltsames zu erzählen?
Sprachbloggeur: Missmutig? Haben Sie „missmutig“ gesagt?
Leser: Jaaa…
Sprachbloggeur: Da fällt mir gerade zu diesem Wort etwas ein. Vor vielen Jahren – damals gab es weder PCs, Handys noch Digicameras – auch keine Amazon, Google etc. Damals brachte ich meine Filme in die Fotoabteilung von Hertie…
Leser: Entschuldigung, was ist Hertie?
Sprachbloggeur: Hertie war ein Warenhaus, aber man konnte weder online noch telefonisch bestellen. Man musste immer hingehen.
Leser: Das heißt, man hatte keine zweiwöchige Bedenkzeit, um etwas ohne Gründe einfach zurückzugeben bei voller Wiedererstattung des bezahlten Geldes.
Sprachbloggeur: So ist es. Es war eine gefährliche Zeit.
Leser: Wieso hieß der Laden „Hertie“? Komischer Name.
Sprachbloggeur: Ja, eine deutschsprachige Eigenart: eine Abkürzung für „Hermann Tietz“. Er war ein deutscher Unternehmer, der, weil er Jude war, enteignet wurde…bzw. dazu gezwungen wurde, den Laden unter Wert zu verkaufen. Komisch. In der dt. Sprache wird diese Art Kürzel gern gebraucht: Groko, Stasi, Gestapo…Als ich vor langer Zeit in Santa Barbara, Kalifornien lebte, gab es eine VW-Werkstatt mit dem Namen „Heli“. Der Besitzer war Deutscher und hieß Heinz Lichtenstein oder ähnlich. Im Englischen kürzen wir nicht so ab. Bei uns werden Anfangsbuchstaben verwendet – etwa FBI, CIA, POTUS (President of the United States). Auch „PJ“, so wie ich mich nenne. Ein Deutscher namens „Hans Josef“ würde sich eher „Hajo“ nennen.
Leser: Was hat all dies mit Ihrem Missmut zu tun?
Sprachbloggeur: Ach ja. Mein Missmut. Ich wollte aber zuerst etwas zu dem Wort „missmutig“ erzählen…oder?
Leser: Beinahe vergessen. Ihren Glossen sind oft ziemlich ungrade. Aber erzählen Sie weiter…
Sprachbloggeur: Wo war ich stehengeblieben?
Leser: Sie haben Ihre Filme zu Hertie gebracht…und glauben Sie ja nicht, dass wir so dumm sind, dass wir nicht wissen, was ein Film ist!
Sprachbloggeur: Genau. Ich habe meine Filme zu Hertie gebracht, um sie entwickeln und Abzüge machen zu lassen. Die Frau hinter der Theke war immer unfreundlich, und das hat mich geärgert…
Leser: Warum sind Sie nicht woanders hingegangen?
Sprachbloggeur: Gute Frage. Wohl eine Schwäche von mir. Ich wollte nicht glauben, dass diese Frau immer so bleiben würde. Ich habe gehofft, dass sie irgendwann mal nett werden würde.
Leser: Und?
Sprachbloggeur: Nein, sie beharrte auf ihre sture Unfreundlichkeit. Manchmal dachte ich: Vielleicht bin ich daran schuld, weil ich mit einem Akzent spreche oder meine Sätze nicht immer perfekt formuliere.
Leser: Kein Grund unfreundlich zu sein…
Sprachbloggeur: Die Zeiten waren damals anders. Jedenfalls: Einmal brachte ich einen Film zu ihr. Und schon wieder murrte sie. Doch diesmal war bei mir das Fass voll. „Warum sind Sie so missmutig?“ fragte ich streng. Woher ich dieses Wort damals kannte, weiß ich nicht mehr. Die Frau aber stockte und antwortete plötzlich ganz kleinlaut und stotternd: „Missmutig?“ Und siehe. Auf einmal wurde sie ganz höflich.
Leser: Und dann?
Sprachbloggeur: Leider hab ich sie nie wieder gesehen. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Hoffentlich nix Schlimmes.
Leser: Und warum sind Sie so missmutig, Herr Sprachbloggeur?
Sprachbloggeur: Das ist einfach zu beantworten: Ich bange um den Status quo und komme wegen der blinden Lügner überall nicht aus dem Staunen. Allmählich nehmen sie die Oberhand, und auch das ist gefährlich…
In eigener Sache: Auf Geheimmission die nächsten paar Wochen. Nächste Glosse, voller Häme und Liebe, erst Anfang Oktober!
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