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Algorithmen und Autismus…hmmm?

Man verliebt sich gern in Wörter, die schön klingen und benutzt sie mit Vergnügen, vor allem, wenn man weiß, andere werden einen deshalb als tollen Hecht (bzw. eine tolle Hechtin) würdigen.

Früher war, z.B., „Problematik“ ein solches Wort. Man ließ es genüsslich von der Zunge rollen, wenn man eigentlich „Problem“ meinte, was viel zu schnöde klang. (Ja, mei, das mit dem Karl-Hans ist für mich wirklich zu einer großen Problematik geworden).

Inzwischen weiß jeder den Unterschied.

Nebenbei: Heutige Englischsprachige haben immer weniger „problems“, dafür aber „issues“. Grund dafür: „Problem“ klingt…zu problematisch.

Heute, liebe Treulinge, möchte ich mit einem schnieken Modewort aus jüngster Zeit aufwarten. Sie haben es bereits in der Überschrift gelesen: Algorithmus. Nicht das erste Mal, dass der Sprachbloggeur dieses Thema anpackt.

Immer häufiger begegnet man diesem Wort (oder so kommt es mir jedenfalls vor). Es ist inzwischen, bin ich überzeugt, das Modewort schlechthin. Kein Wort des Jahres, sondern des Jahrhunderts (zumindest bisher).

Auch ich (ja, ich gesteh es ein) benutze „Algorithmus“, in normalen Sätzen, wo ich früher vielleicht „Formell“ oder „Handlungsweise“ gesagt hätte. Die Alternativen klingen schon jetzt irgendwie leicht antiquiert und fade.

Kaum sagt man „Algorithmus“, fühlt man sich auf dem Posten, zeitgenössisch, technologie-verbündet. Man sagt „Algorithmus“ und denkt „Algebra“ oder „Arithmetik“ oder so einen anderen hochgestochenen mathematischen Begriff.

Aber guess what: Das Wort „Algorithmus“, liebe Freunde Wikipedias, ist eigentlich nur die Verballhornung eines Namens, und zwar des eines gewissen Nisba Al-Chwarismi – d.h., „Nisba, der Mann von Choresmien, einer Gegend in Persien. Besagter Nisba Al-Chw. lebte im 9. Jh. und war Autor eines Buches über die sog. Indischen Ziffern. Heute sagen wir „arabische Ziffern“. Das ist falsch. Sie stammen aus Indien.

Um das Jahr 1200 hat ein gewisser Leonardo Pisano das Werk von Al-Chwarismi ins Lateinische übersetzt mit dem Titel „Liber Abaci“ („Abaci“ ist Genitiv vom „Abacus“ – jeder weiß, was ein Abacus ist…oder sollte). Aber der Clue: Pisano nannte den pers. Autor dieses Werks nicht „Al-Chwarismi“, sondern „Al-gorismi“. Und jetzt wissen Sie, woher die Algorithmen stammen.
Wie anfangs gesagt: Dieses Wort ist heute zum Modebegriff geworden. Doch wie kam es dazu?

Eigentlich ein „no-brainer“: Wir reden von den „Algorithmen“, weil die großen Players der digitalen Revolution, es für uns salonfähig gemacht haben. Wo man früher vielleicht „Handlungsweise“, oder „Formell“ oder m.o. (modus operandi) etc. gesagt hätte, sagten die Typen aus Silicon Valley „Algorithmus“. Es klang für sie irgendwie…techie!

Damit wäre ich zum Schluss dieser Betrachtungen gekommen, wenn ich nicht vor ein paar Tagen ein Gespräch mit einer alten Freundin aus den USA geführt hätte. Sie wies mich darauf hin, dass besagte Menschen aus Silicon Valley, die uns seit über dreißig Jahren mit der Informationsrevolution beglücken, von Algorithmen so häufig redeten, weil sie selbst so dringend Algorithmen bedürften.

Nochmals, etwas deutlicher: Jeder weiß, so diese alte Freundin, dass viele Techies zu einem gewissen Autismus tendieren. Der Autist brauche Ordnung und Logik um in einer als feindlich empfundenen Welt der Unordnung zu überleben. Aus diesem Grund waren für diese Players Algorithmen so verdammt wichtig. Gefühle, Witze, Glaube, Ironie machen dem Autisten Angst. Algorithmen hingegen salben wie Balsam.

Um die Gefahren der großen Gefühle etc. zu entkommen, fanden die Players Zuflucht in der logischen, algorithmischen Ordnung der Dinge.

Willkommen im 21. Jahrhundert.

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