In einem Augenblick ist alles plötzlich anders – und zwar auf ungute Art.
Auf dem Kuvert stand SEHR groß gedruckt das Wort „Fristsache“. Flüchtig las ich den Empfängernamen. Ach, Post für meinen Sohn. Sieht aus, als kommt es von der Bank.
Erst später wandte ich mich der Fristsache zu. Mein Sohn wohnt nämlich nicht bei uns, und ich kümmere mich um seine Post. So eine Fristsache von der Bank könnte etwas Wichtiges sein, dachte ich.
Wer sich auskennt, weiß schon, was jetzt kommt: Es war eine Zahlungsaufforderung von einer Inkassofirma.
Falls Sie so etwas nicht kennen: Es ist, als ob urplötzlich fünf schwerbewaffnete, übelriechende Räuber stünden in Ihrer Wohnung.
Man liest, die Augen starr, den Drohbrief durch, erst schnell, dann ein zweites Mal langsam, Wort für Wort. Erst recht, weil man eigentlich nicht weiß, worum es geht.
Erst peu à peu macht man sich ein Bild davon. Die langsam herauseruierten Fakten: Es handelte sich um eine unbezahlte Rechnung von einem Berliner Verlag aus dem Jahr 2015. Auch die Rechnungsnummer war zu lesen. Die ursprünglichen Kosten von 250 Euro hatten sich mittlerweile wegen Zinsen und Zinsenzinsen und diverser Strafgebühren etc. auf 380 Euros erhöht.
Sogleich rief ich meinen Sohn an Er war ahnungslos und überrascht, aber nur kurz. „Werf das Ding weg“, sagte er. Es ist ein Fake, ein Scam.“
„Ja, aber wenn es kein Scam ist?“
„Ach, du machst dir viel zu viele Sorgen.“
Mag sein, aber dennoch entschloss ich mich nach dem Anruf, die vier Seiten des Schreibens zu scannen und sie an ihn zu mailen. Nebenbei: Ist das nicht komisch wie sehr „Scam“, „Spam“ und „Scan“ sich ähneln? Muss was bedeuten.
Aber dann wurde ich richtig proaktiv (notabene: wichtiges, neues Wort!) und rief direkt in besagten Verlag in Berlin an, um mich über die unbezahlte Rechnung genauer zu informieren. Zum Glück stieß ich auf einen hilfreichen Menschen, der mir dann versicherte, er finde die fragliche Rechnung gar nicht. Außerdem finde er den Namen meines Sohns in seinen Akten nicht.
Er gab mir eine Telefonnummer – und siehe da: Es war die der uns drohenden Inkassofirma! „Mit denen arbeiten wir oft zusammen“, beteuerte er. „Rufen sie dort an, und erklären Sie, dass wir beim Verlag keine offene Rechnung Ihres Sohns gefunden haben. Sie werden die Sache dann gleich löschen.“
Also rief ich nun direkt in die Löwengrube an. Doch so einfach sollte das nicht sein. Man wollte mir keine Auskunft erteilen – ohne dass mein Sohn mich dazu bevollmächtigt hätte.
Nun mailte ich meinem Sohn, der mich inzwischen für total übergeschnappt und hysterisch erklärte, damit er eine Vollmacht verschickt. So ist die Jugend, dachte ich. Unbequemes wollen sie nicht wahrhaben.
Ach! Die ganze Zeit vergesse ich etwas Wichtiges zu erzählen. Nämlich: Während meines Anrufs beim Inkassobüros stellte ich zum ersten Mal fest, dass die Zahlungsforderung nicht, wie ich zuerst gedacht habe, an meinen Sohn adressiert wurde. Der Name auf dem Brief glich lediglich seinem Zweitnamen, und den benutzt er nie.
Ich habe auch vergessen noch etwas zu erwähnen, dass ich im Internet nach „Fake Inkassofirmen“ gesucht habe – und davon gibt es offensichtlich jede Menge (caveat emptor!). Es stellte sich aber schnell heraus, dass diese, die uns anfauchte, durchaus legitim war. (Mein Sohn war der Meinung, dass Verlag und Inkassofirma beide Scammer waren).
Allmählich – und ich meine wirklich allmählich – ist der Groschen gefallen: Es wurde mir klar, dass es sich bei der Sache offensichtlich um eine Namensverwechselung handelte. Immerhin hat es drei Jahre gedauert, bis sie den vermeintlichen Schuldner ermittelten. Die Inkassoleute hatten wohl die Einwohneranmeldeamte ganz Deutschlands durchkämmt und fanden lediglich meinen Sohn, der den Zweitnamen mit dem Vornamen des Schuldners gemeinsam hatte. Immerhin etwas.
Am Sonntag formulierte ich einen Brief an die Inkassoleute, in dem ich meine „Einwendungen“ ausdrückte. Notabene: „Einwendung“, erklärte mir ein Freund, der Anwalt ist, benutzt man, wenn es um eine Zahlungsaufforderung handelt. „Einspruch erheben“ tut man nur bei Mahnbescheiden und dergleichen.
Am Montag rief ich prompt in die Firma an, um meine Position darzulegen und in der Hoffnung, dass bevor ich meine Einwendungen wegschickte, man den Fehler erkennen würde. Und so war es. Die nette, höfliche Dame am Apparat war schnell überzeugt, dass ich recht hatte und bat mich darum, den Drohbrief wieder einzutüten, zuzukleben und darauf „unbekannt“ zu vermerken und in den nächsten gelben Briefkasten zu werfen.
Diesmal Schwein gehabt … Nebenbei: Warum heißt es „Schwein haben“? So gut haben es die Schweine auch wiederum nicht…
PS Nix gegen Inkassofirmen – ich meine die echten. Es gibt ja doch auch wahre Schurken, und sie verdienen so ne Fristsache allemal.
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