1.) Von L. folgende beunruhigende Nachricht: Bei ihr in der Firma ist das Psychocoaching (Stichwort: „Teamarbeit“) neulich eingerückt. Ein paar Tage nach dem verhängnisvollen Einzug, sprach der Geschäftsführer das „Team“ an und bat jede/n Mitarbeiter/in das Du an.
Denkanstoß: Darf man „Nein, danke“ sagen, wenn der Chef das Du anbietet?
Nach einer weiteren Woche wurde eine Mitarbeiterversammlung anberaumt. So eine Versammlung findet üblicherweise entweder vor dem Weihnachtsfest statt, um gute Laune zu verbreiten oder wenn etwas Unangenehmes bevorsteht: etwa schlechte Verkaufszahlen und die Notwendigkeit, Arbeitsplätze oder Gehaltserhöhungen zu streichen.
Diesmal aber war‘s anders: Ein energischer Psychocoach wollte die Belegschaft fürs neue Firmenkredo einstimmen - nach dem Motto „Kreativität“ und „Flexibilität“. Fortan sollten sich alle duzen, tat er kund, vom Hausmeister bis zu den Chefs.
Es folgten nun Auflockerungsübungen: aufstehen , Arme über den Kopf weit weit weit in die Höhe strecken, dann vor sich halten und weit weit weit nach vorne strecken. Dann Kreise mit den Schultern machen. „Entspannt Euch!“ trillerte er. “Spürt den eigenen Körper!“ usw.
Schließlich sollten sich alle Teilnehmer in vierer Gruppen einteilen, und zwar mit folgender Aufgabe: sich auf eine Zahl zwischen eins und neun zu einigen. Jeder durfte triftige Argumente vortragen, um von seiner/ihrer Lieblingszahl zu überzeugen.
L. geriet in eine kleine Gruppe aus der Chefetage. Auch der Geschäftsführer war mit von der Partie. Das ist passiert, weil sie nicht gut sieht und in der ersten Reihe saß - neben den Bonzen also.
In dieser kleinen Runde machte der Geschäftsführer als erster einen Vorschlag. Als Chef musste er wohl die Initiative nehmen. Er möge die sieben, meinte er. „Oder möchte jemand eine andere Zahl in die Runde bringen?“ fragte er.
Es herrschte Stillschweigen. Alle schauten sich ein bisschen gschamig an, als hätten sie entdeckt, dass sie nackt waren. Die sieben hatte also leichtes Spiel.
2.) Diese Mitteilung von L. erweckte in mir eine Erinnerung. Wir schreiben das Jahr 1996. Wir, d.h. meine Familie u. ich, leben in Portland, Maine, in den USA, ich arbeite allerdings weiterhin bei einer deutschen Zeitschrift. Man erklärt mich zum „Auslandskorrespondenten“.
Ein neuer Chefredakteur nahm damals die Zügel in die Hand. Ich kannte ihn kaum, und damals war das Mailen noch sehr exotisch. Manchmal telefonierten wir miteinander.
Während eines solchen Gesprächs sagte er mir auf einmal Folgendes: „Sollen wir uns nicht lieber ‚buh‘ sagen?“
Es war Herbst, genauer gesagt, die Halloweenzeit. (Nebenbei: in Portland feiert man das echte Halloween - nicht den ungelenken Import, der sich in Deutschland mit ach und krach etabliert hat). Von daher meinte ich, er mache einen Halloweenwitz: „Buh!“ - wie ein Gespenst.
„Buh?“ fragte ich ahnungslos.
„Ja, buh“.
„Ich versteh nicht“, räumte ich endlich ein. „Wieso ‚buh‘?“
Ja, liebe Leser, Sie ahnen schon. Er wollte mir das „Du“ anbieten. Hab ich natürlich, als ich’s endlich kapiert hab, - mit Vorbehalt - auch angenommen.
Ab dann wurde allgemein geduzt. Alle haben sich in der Redaktion geduzt - der Kreativität und der Flexibilität zuliebe. Zehn Jahre später bekamen wir einen neuen Verlagsleiter. Er sagte mir, als er mich zum ersten Mal kennenlernte (wir lebten längst wieder in Deutschland): „Ach, Sie sind Herr Blumenthal!“
Ich reichte ihm die Hand und lächelte freundlich.
Sie verdienen zu viel.“
Anfang des Endes. Fünf Jahre sägten die Chefs (Mehrzahl) unerbittlich an meinem Stuhl. Mit Ausnahme des Verlagsleiters haben mich alle bis zum bitteren Ende geduzt. Der Verlagsleiter bekommt hier einen großen Lob: Er war zwar ein Arsch, dafür aber stets ehrlich und konsequent.
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