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Gedanken über DAS „Schmähgedicht“ (Nein! Nicht schon wieder!)

Ja, auch der Sprachbloggeur will sich die Finger an dieser heißen Sudelstelle verbrennen. Naja, nicht wirklich. Ich trage heute meine ofen-und-odelfesten Handschuhe.

Eine Sache bei dieser „Schmähgedichtaffäre“ macht mich besonders konfus. Bitte, liebe juristisch Versierte: Hab ich es nur geträumt, oder sind in Deutschland doch mit saftigen Geldstrafen zu rechnen, wenn jemand im Straßenverkehr ungeduldig wird und beim Überholen eines langsamen Fahrenden, diesen den „Vogel“ zeigt?

Vielleicht gilt diese Paragraphen aber nicht mehr. Ich bilde mir ein, dass ich früher solche Geschichten in der Boulevardpresse ständig gelesen habe. Und: dass es sogar einen richtigen Bußgeldkatalog gab, insbesondere wenn einer, z.B., einen Polizisten beleidigte. Leider hab ich die Fakten nur noch diffus im Kopf. Ich glaube „Arschloch“ lag bei 1000DM, „Arschgeiger“ bei…waren es 750DM oder 1500? Hab vergessen, ob ein „Arschloch“ billiger oder teurer war als ein „Arschgeiger“.

So viel weiß ich: Ein Bekannter musste mal 8000 Euro bezahlen, weil er einen Beamten mit „Nazi“ beschimpft hat. 8000 Euro? Das kommt mir irgendwie sehr hoch vor. Das hat er jedenfalls behauptet.

Ich fand solche Geschichten stets exotisch, weil in Amerika jeder jeden nach Belieben kostenlos beleidigt.

Aber falls es diese Gesetze doch noch gibt, geh ich davon aus, dass auch der türkische Präsident – als Privatmensch versteht sich – das Recht hat, seinen ZDF-Widersacher Herrn Böhmermann wegen Beleidigung zu verklagen.

Da ich nur selten fernsehe, hab ich die ereignisvolle Sendung verpasst, in der das „Schmähgedicht“ erstmalig ausgestrahlt wurde. Erst im Nachhinein habe den Text (nicht aber das Video) im Internet entdeckt und auch mehrmals gelesen.

Was mich besonders beeindruckte: Ich habe durch die Lektüre des „Schmähgedichts“ meinen dt. Wortschatz um drei neue Wörter vergrößert. Das passiert mir nach so vielen Jahren in Deutschland äußerst selten. Und zwar: „sackdoof“, „Gelöt“ und „Schrumpelklöten“. Die ersten zwei waren nicht einmal in „Küppers – Wörterbuch der deutschen Umgangssprache“ zu finden. Bei „sackdoof“ kann man sich freilich selbst ein Bild vom Sinn machen – ein ungewöhnliches Bild, aber immerhin. Was „Gelöt“ betrifft, da bin ich mir immer noch nicht sicher, dass ich die Bedeutung dieser Vokabel in diesem Zusammenhang verstehe. Vielleicht hab ich etwas Wichtiges übersehen. „Schrumpelklöten“ ist hingegen easy – auch wenn mir „Klöten“ bis dahin kein Begriff war. Kein Wunder aber. Das Wort ist Niederdeutsch, und ich lebe in Bayern. Es ist jedenfalls mit „Kloß“ verwandt. Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um das resultierende Bild zu verstehen.

Tja, was gibt es sonst über dieses „Schmähgedicht“ zu sagen? Nur folgende Beobachtungen:

Als erstes fiel mir ein Aufsatz ein, den ich vor vielen, vielen Jahren gelesen hatte. Es ging um ein altes Brauchtum aus der ländlichen Türkei. Vielleicht war das in Anatolien. Das weiß ich nicht mehr. Zwei rivalisierende Jugendliche begegneten sich zu einem Schmähgedicht-Wettstreit. Wer das deftigste, witzigste und unter der Gürtellinie treffendste Gedicht improvisierte, galt als Sieger. Der Inhalt dieser Gedichte war nicht von dem Böhmermanns zu unterscheiden. Ich wollte mich wieder über diese uralte türkische Gepflogenheit genauer informieren, doch unter Stichwort „türkisches Schmähgedicht“ fand ich im Netz nur unzählige Seiten über die Rivalität Böhmermanns/Erdogans. Google ist wohl eine Mode-Suchmaschine.

Zweite Beobachtung: Ich kannte das Phänomen des Schmähgedichts ohnehin aus der römischen Lyrik. Bekannteste Vertreter dieses Genres waren Catullus und Martial. Ihre Beleidigungen hinkten mitnichten hinter derer Herrn Böhmermanns her.

Catullus hat, z.B., Julius Cäsar mit derart schrumpelklötelschen und auch sackdoofen Beleidigungen überhäuft, dass wir Heutigen meinen könnten, der Diktator hätte den Dichter einen Kopf kleiner machen können. Fehlanzeige. Cäsar hat des Dichters gehässige Beleidigungen gelassen hingenommen. Weil es damals in Rom üblich war, die Obrigkeit derb auf die Schippe zu nehmen.

Heißt das, dass die Römer mehr Humor hatten als manche heutige Politiker in der Türkei? Oder dass die Bewohner türkischer Dörfer humorvoller waren als diese Politiker?

Dritte Beobachtung: Ich, um ehrlich zu sein, fand Böhmermanns Gedicht sackdoof. Mir fiel bald Charlie Chaplins grandiosen Coup gegen Hitler („The Great Dictator“) als Vergleich ein – auch Billy Wilders geistreicher Angriff auf A.H. und Co. in „To Be or Not to Be“. Das ist aber eine ganz andere Klasse von Humor – und obendrein langlebiger.

Vierte Beobachtung: Nun ging mir ein Bonmot von Winston Churchill durch den Kopf: „German humor is no laughing matter“, sagte er. Doch dann dachte ich: Armer Churchill hat wohl Wilhelm Busch und Heinrich Heine nie gelesen.

Ende meiner Beobachtungen zum Thema „Schmähgedicht“.

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