Armes E-Buchlesegerät. Seit Monaten liegst du rum neben meinem Bett, unberührt, prahlgefüllt mit einer ansehnlichen Bibliothek der Weltliteratur: Goethe, Schiller, Kafka, Vergil, Homer, Bibel, Dante, Cervantes, Byron, Keats, Eliot, Chaucer, Shakespeare, Proust, u.v.a.m.
Trotzdem rühr ich dich nie an. Glaub mir, es ist nicht aus ideologischen Gründen. Immerhin hab ich vielleicht schon einhundert Euro für meine Sammlung der Weltliteratur verpaypalt. (Ja, es waren fast immer die preiswerte Ausgaben). Außerdem hab ich schon ein paar Bücher – ganze Bücher – auf deinem Touchscreendisplay gelesen.
Klar ist es gewöhnungsbedürftig. Aber nicht schlimm. Es geht ja ziemlich intuitiv vonstatten. Man wischt mit dem Finger mühelos übers Display, und schon erscheint die nächste Seite – oder eben die vorige. Egal. Man macht’s, wie man‘s will.
Und bequem ist die Lektüre allemal. Hat man schlechte Augen? Dann bist du für so einen ein Genuss. Man vergrößert nach Gutdünken die Schrift. Liest man in einer Fremdsprache und versteht den Sinn eines Wortes nicht. Man markiert das Wort mit dem Finger und schon bietet das verlinkte Wörterbuch eine passende Übersetzung. Schön, gell?
Trotzdem liegst du so unberührt da rum.
Wieso denn?
Ein Grund: Weil ich wahnsinnig viele Bücher besitze, und irgendwie – ich mein dies beileibe nicht ideologisch – zieh ich’s vor, richtige Bücher in die Hand zu nehmen. Ja, ich geb zu: wegen der „Haptik“ (Neudeutsch vom Griechischen „haptos“, also „fühlbar“).
Nicht nur ich. Viele Leute sagen, dass sie lieber richtige Bücher lesen als E-Bücher – auch viele junge Leute. Natürlich hat jeder (oder fast jeder) heute ein Smartphone, und manche lesen Bücher auf dem Phone.
Kaum ist man aber wieder zuhause, so holt man – ob jung oder alt –ein richtiges Buch aus dem Regal (ich meine, wenn man Bücher noch liest) und vertieft sich darin.
Vielleicht deshalb stagnieren die Verkaufszahlen der E-Bücher – auch in den USA.
Ein zweiter Grund: Das Buch aus Papier ist eine geniale Erfindung. Man kann jede Seite wie der Blitz öffnen. Dagegen ist jedes E-Buch allen klugen Megabytes zum Trotz lahm. Wie viele Seiten muss ich noch lesen, bis das Kapitel zu Ende geht? Schnell blättere ich um. Husch! Erledigt! Viel umständlicher ist dieser Vorgang beim E-Buch.
Dritter und vielleicht wichtigster Grund: Ein Buch hat keinen Akku. Man kann es Jahrzehnte lang fast überall (im Trocknen) rumliegen lassen, dann nimmt man es wieder in die Hand, und liest weiter. Bis dahin hat ein E-Buchlesegerät zwecks einer Tiefentladung den Geist längst aufgegeben.
Ja, das stört mich schon immer bei allen elektronischen Geräten – ob Notebook, Facebook (haha), E-Buchlesegerät, Smartphone, Tablet. Alle laufen auf Zeit. Wie im wahren Leben. Man mietet sich ein, aber irgendwann ist es mit dem Saft zu Ende. Okay, ich gebe zu: Man kann – im Gegensatz zum Leben – einen Akku wieder aufladen. Aber trotzdem.
Nur die Fotografie bildet hier die Ausnahme – zumindest meiner Meinung nach. Denn die Fotografie west in der Einschränkung. Das war schon immer der Fall. Nach 36 Aufnahmen war auch der Analogfilm alle. Ohne Film, keine Bilder. Im Akkuzeitalter kann man viel länger weiterknipsen im Vergleich zu früher. Eine Segnung. Wie immer bestätigt die Ausnahme die Regel.
Was, liebes E-Buchlesegerät? Hast du schon wieder Hunger? Entweder hab ich auf deinem Touchscreendisplay zu viel gelesen, oder du siechst vernachlässigst und von allein dahin, du kleiner Stromfresser.
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